Romane

In andere Leben hineinschauen

Manchmal lesen wir, um etwas ?ber uns selbst zu erfahren, manchmal wollen wir in andere Leben hineinschauen. Wer Lust hat, ein halbes Jahr mit intellektuellen Mittelschichtlern in Berlin zu verbringen, dem sei dies Buch empfohlen.
Vier Paare werden uns vorgestellt. Der Mann von Selma Craiss (sie ist freie Journalistin) hat f?r ein halbes Jahr eine Gastprofessur in New York ? die Frage "Ist er ihr treu/Wird sie ihm treu bleiben" besch?ftigt die Freunde der beiden und nat?rlich den Leser; zum Schluss wei? man?s. Der Mann von Bettina, die ? fast h?tte ich gesagt: ? "alleinerziehende" Mutter ist (weil sie das Kind Sophie haben wollte und folglich sie am Sonntag morgen nicht ausschl?ft, sie ihre berufliche Laufbahn unterbricht); der Mann von Bettina also, Johannes, ist ebenfalls Professor, und zweifelsfrei notorischer Fremdg?nger; Bettina ertr?gt es, wegen Sophie.

Es gibt noch eine werdende Mutter, Angelika. Eigentlich ist sie eher an Frauen interessiert, eigentlich ist sie Gro?stadtpflanze, eigentlich hatte sie das Angebot einer Uni aus Australien, eigentlich sind M?nner das letzte. Aber das Ergebnis einer feuchten Partynacht ist ihre Schwangerschaft, und schlagartig ist sie magisch angezogen vom Leben auf dem Lande, von Kleinfamilie, der adeligen Familie des Kindsvaters ... Das geh?rt zum besten dieses Buches: die Schilderungen, wie diese Schwangere bewusst und genie?erisch ihre Rolle spielt und ihre Macht ausspielt. Die inneren Gespr?che ?ber Mutterschaft, die Sehnsucht nach dem einfachen Leben, ohne Zeitdruck, ohne M?ssen, nur dem Moment mit dem Kind hingegeben.

Am Rande kommen noch die M?llers aus der Kunstszene vor (Sie nennt sich "M?ller-Schart?"). "Wie war es denn gestern?" "Bei M?llers? Wie immer eigentlich. Viel zu essen, noch mehr Leute, und immer die falschen am Tisch. Du kennst das ja."Mit den Intellektuellen von vor 34 Jahren, also den 68ern, haben die in diesem Roman kaum noch was zu tun. (Klar, Willy Brandt h?tte auch keinen Brioni-Mantel getragen, Herbert Wehner kam nicht so smart daher wie Franz M?ntefering.). Dennoch: Die Lust an Theorie und Analysen, das Diskutieren ?ber Begriffe und Gef?hle ist geblieben. Auch die endlose Raucherei.

Ein Berlin-Roman, ein Gesellschaftsroman, ein Frauenroman, ein Intellektuellenroman voller intelligenter und meist frischer Dialoge. Elke Schmitter beobachtet gl?nzend, beschreibt humorvoll bis leicht boshaft und ist der Sprache auf erfreuliche Weise m?chtig.

fms
15.05.2002

 
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Das Buch:

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CMS_IMGTITLE[1]

Berlin: Berlin Verlag 2002
310 S.
ISBN: 3-8270-0455-1

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