Romane

Ein Buch über den bittersten Abschied von allen

Die 37-jährige Claire kann es immer noch schlicht nicht fassen. Ihr Ehemann Jay hat vor wenigen Tagen Selbstmord begangen - er sprang auf einer Valentinsparty vom 23. Stock. Einerseits sind sich Claire und ihre Freunde und Verwandte im Klaren, dass es letztlich für seinen Freitod nur eine Ursache geben kann. Jay litt an schweren Depressionen und war während seiner periodisch auftretenden schweren Anfälle teilweise monatelang wie gelähmt. Doch andererseits kommt Claire sich so unerträglich schuldig vor. Dass die Beziehung mit Jay nicht leicht war, obwohl er intelligent, charmant und zuvorkommend war, gibt Claire zu. Doch sobald er depressiv wurde, war Jay wie ausgewechselt. Ist sie letztendlich die Schuldige? Hätte sie Jays unglaubliche Tat verhindern können, wenn sie zuvorkommender, einfühlsamer, eine bessere Ehefrau gewesen wäre? Sie hätte doch so gerne eine Familie gehabt ...

Es scheint, dass Jay seinen Freitod akribisch über lange Zeit hinaus geplant hatte. Dass Selbstmörder einen Abschiedsbrief hinterlassen, ist nichts Ungewöhnliches. Doch Jay hat gleich einen ganzen Ordner voller Nachrichten an seine Freunde und Verwandten zusammengestellt. In Jays "Selbstmordordner" gibt es einen Brief, der nur an Claire gerichtet ist. Doch sie hat geradezu panische Angst, ihn zu lesen.

Obwohl ihre Schwester Nomie, ihr großer Freundeskreis und ihre Eltern ihr Möglichstes tun, um Claire Halt zu geben, ist sie immer noch am Boden zerstört. Doch sie weiß sehr wohl, dass es letztlich an ihr liegt, ihre Schuldgefühle zu überwinden, um sich wieder wie sie selbst fühlen zu können. Dazu lassen sie zahlreiche quälende Fragen nicht los. Ist sie schon bereit, ihren Kokon aus Traurigkeit zu verlassen? Schuldet sie Jay nicht, dass sie sich bis an die Grenzen des Möglichen ihrer Trauer hingibt? Sollte sie sich auch in Therapie begeben, wie er es tat? Doch Claire spürt instinktiv, dass sie erst eins wissen muss: Gab es vielleicht eine Seite von Jay, die er ihr nicht offenbarte und deren Ergründung ihr helfen wird, ihre Unklarheiten zu überwinden? Ihre Untersuchungen mit dem Ziel herauszufinden, wer ihr Mann wirklich war, beginnen mit einem Besuch bei Jays ehemaliger Therapeutin. Hierbei stößt Claire bereits auf die erste Tatsache, die Jay ihr verheimlicht hat - und es soll nicht die einzige bleiben. Doch eins weiß sie: Denselben Ausweg wie Jay wird sie niemals wählen.

"Happy Now?" befasst sich mit einem der traurigsten Themen seit Menschengedenken und konfrontiert seine Protagonistin mit dem schlimmsten Ereignis, das einer Beziehung zustoßen kann. Doch jeder, der sich mit dem Debütroman der US-amerikanischen Autorin Katherine Shonk befasst, erkennt sofort, dass derjenige, der platte Gefühlsduselei sucht, hier nicht fündig werden wird. Auch wer noch nie einen geliebten Menschen verloren hat, kann Claires Gefühle sofort nachvollziehen und mit ihr fühlen. Und auch die Nebenfiguren des Romans wirken ähnlich zerbrechlich und unperfekt - sprich, menschlich - wie Claire, was das berührend-mitreißende Leseerlebnis zusätzlich intensiviert.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich der Leser auf depressiv-bedrückende Leseabende einstellen muss. Denn der feine Humor und die Situationskomik, die Katherine Shonk immer im rechten Moment hinter der ernsten Oberfläche hervorblitzen lässt und den Leser dennoch immer unvorbereitet trifft, macht aus "Happy Now?" etwas ganz Besonderes. Shonks beeindruckendes Debüt vollbringt so etwas scheinbar Unmögliches. "Happy Now" behandelt die größtmögliche Tragödie einer Beziehung einerseits mit 100 Prozent des ihr gebührenden Respekts und andererseits mit einer geradezu beschwingenden Leichtigkeit, der sich kein Leser entziehen kann. Eine bestechend gelungene, wunderbare Verquickung von berührender Melancholie und lebensbejahendem Optimismus ohne jede Spur von Larmoyanz.

Johannes Schaack
21.02.2011

 
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Das Buch:

Katherine Shonk: Happy Now? Aus dem Amerikanischen von Harriet Fricke

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Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2010
279 S., € 19,95
ISBN: 978-3-8218-6121-0

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