Romane

Bei solchen Büchern wird es den Menschen warm ums Herz

Gäbe es einen Preis für den originellsten Buchtitel, dann wäre "Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen" sicherlich ein hoffnungsvoller Aspirant auf diese Auszeichnung. Hinter dem vorliegenden Buch verbirgt sich das Romandebüt des Frankokanadiers Pierre Szalowski, der in der kreativen Welt bis dato recht erfolgreich in verschiedenen Positionen tätig war. Dass sein mutiger Schritt, sich als Romanautor zu versuchen, der richtige war, wird dem Leser relativ schnell klar. Die Fülle an Trophäen, die Szalowski in Kanada für seinen Erstling eingeheimst hat, überrascht daher niemanden.

Das Ende der Weihnachtsferien 1997/98 in einer namentlich nicht weiter bekannten Straße in Montreal wird überschattet von einem sich ankündigenden "Jahrhundert-Eisregen". Inmitten dieser Wetterkatastrophe tummeln sich die individuellen Schicksale der Protagonisten des vorliegenden Buchs. Da ist zuvorderst der namenlose elfjährige Hauptdarsteller mit seinen Eltern, die gerade beschlossen haben, sich zu trennen. Sein bester Freund Alex leidet unter seinem antriebslosen und permanent destruktiven Vater. Das Schwulenpärchen Simon und Michel gibt sich seit Jahren nach außen hin als Brüderpaar aus und lebt in der Angst, dass ihre wahre Beziehung auffliegen könnte. Die Stripperin Julie hingegen sehnt sich nach der großen Liebe und hofft darauf, dass eines Morgens auch einmal ein Mann zum Frühstück bleibt und sich nicht als verheirateter und untreuer Ehemann entpuppt, der sich frühzeitig aus dem Bett schält, um schleunigst nach Hause zu eilen. Des Weiteren erhält der Leser Einblick in die Doktorarbeit des russischen Mathematikers Boris, der für seine Forschungen im Bereich der Knotentheorie die zurückgelegten Bahnen von Fischen analysiert.

Das hereinbrechende Unwetter hat für die einzelnen Personen gänzlich unterschiedliche Auswirkungen: Während der namenlose Junge darauf hofft, dass der Eisregen den Auszug des Vaters aus der gemeinsamen Wohnung verhindert, ist Boris in schierer Panik. Bei dem drohenden Stromausfall und einem Herabsinken der Wassertemperatur im Aquarium würde seine Versuchsanordnung empfindlich gestört werden, da sich die Bahnen seiner Fische bei Kälte ändern würden, was wiederum zur Folge hätte, dass Jahre seiner Forschungsarbeit hinfällig wären. Als es dann tatsächlich so kommt wie befürchtet, findet er in Julies Wohnung Unterschlupf, da zunächst nur eine der beiden Straßenseiten vom Stromausfall betroffen ist.

Ähnlich wie "Zusammen ist man weniger allein", das im Original ebenfalls in französischer Sprache verfasst worden ist und ganz nebenbei auch ein Kandidat auf den Preis für den schönsten Buchtitel wäre, beinhaltet das vorliegende Buch eine liebevolle und herzerwärmende Geschichte über ganz normale Menschen mit ganz normalen Macken. Der herausgebende deutsche Verlag hat gut daran getan, "Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen" im November und damit im Rahmen der Vorweihnachtszeit auf den Markt zu bringen. Es ist insofern passend für diese Zeit der Besinnung, da es wunderbar zeigt, was wirklich wichtig ist und worauf es sich zu konzentrieren lohnt. Die Geschichte um den elfjährigen Jungen und dessen Stoßgebete gen Himmel, etwas geschehen zu lassen, dass die eigentlich unausweichliche Trennung seiner Eltern verhindert, verdeutlicht, wie wichtig es ist, Kindern den Glauben zu lassen, dass sie mit der Kraft ihrer Gedanken ganz viel bewirken können.

Jeder, aber auch wirklich jeder erfährt in diesem Buch sein Happyend. Dennoch - und dies ist die wahre Meisterleistung - ist es meilenwert entfernt vom seichten "Heile-Welt-Kitsch" einer Rosamunde Pilcher und Konsorten. "Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen" ist der beste Beweis dafür, dass es wichtig ist, über seinen eigenen Schatten springen zu können, Vorbehalte gegenüber anderen aufgeben zu können und Denkmuster zu überwinden, in denen man aussichtslos gefangen zu sein scheint. Szalowski hat unzählige Weisheiten in ein kleines Büchlein integriert, so dass der Leser das Buch am Ende glücklich zur Seite legt und das Gefühl hat, dass zum einen damals in Montreal alles rund gelaufen ist und zum anderen das eigene Glück vielleicht auch nur ein wenig mehr Anschub benötigt.

Für die des kanadischen Wetters unkundigen Leser sei erwähnt, dass die Hintergrundhandlung sich in den Januartagen 1998 tatsächlich so zugetragen hat und damals ein heftiger Kaltlufteinbruch in Montreal und Umgebung für heftigen Schneefall und Eisregen gesorgt hat. Laut einschlägiger Quellen erreichten die Temperaturen kaum -20°C, zwei Millionen Menschen waren ohne Strom, 17 Menschen starben in der Kälte und der finanzielle Schaden belief sich damals auf eine Milliarde Dollar. Der Gewinn für Julie, Boris, Michel, Simon, Alex und den namenlosen Jungen sowie deren Eltern ist monetär allerdings nicht zu beziffern.

Christoph Mahnel
29.11.2010

 
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Das Buch:

Pierre Szalowski: Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen. Aus dem Französischen von Andreas Jandl

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München: C. Bertelsmann Verlag 2010
224 S., € 16,99
ISBN: 978-3-570-10017-2

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