Romane

Die Augen zum Fahnenappell geradeaus

Ungeschminkter DDR-Alltag Ende der 50ger Jahre. Ein anderes Land, eine andere Welt. Magere Jahre. Drill und Ordnung. Einmischung der Politik bis in die Keimzelle Familie. Das Leben wird von dem Takt der Militärmusik beherrscht: tam, tam – tam, tam, tam. Dabei liebt Uta viel mehr Walzer-Melodien: rund, harmonisch, spielerisch: ein, zwei, drei – eins, zwei, drei.

Im Gleichschritt Marsch beschreibt Utas Ausbildungszeit zur Lehrerin. Was spröde und formell beginnt, entwickelt im Laufe der Zeit einen liebevollen, fast zärtlichen Ton. Sehr poetisch, witzig und wortgewandt ist die gereimte Kommunikation zwischen Uta und dem Sportlehrer Bergmann. Aber durchweg erschreckend bleibt, wie präsent der Staat in den Einzelnen Leben und Beziehungen wirkt. Es gibt keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Die politischen Parolen dominieren Schule, Ausbildung und natürlich die Praktika in den verschiedenen LPGs. Aber auch die Liebesbeziehung zu Jörg ist geprägt durch den gesellschaftlichen Kontext. Erschwert wird die Situation dadurch, dass Jörg linientreu ist und dem Staat dankbar, dass er als Arbeiterkind studieren kann. Über Utas kritische Äußerungen ist er entsetzt. Dabei ist Uta gar nicht völlig gegen das Regime – sie hat nur eine ganz menschliche Sicht der Dinge bewahrt, die vieles am ängstlichen und totalitären Staates ad absurdum führt. Anfangs betrachtet Uta die politischen Auseinandersetzungen als Spiel und hofft insgeheim, Jörg von seinen Überzeugungen abbringen zu können. Die beiden verbindet – trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere und Ansichten – eine tiefe Zuneigung.

Während der Ausbildung wächst langsam aus dem braven Mädchen, was allerdings für DDR-Verhältnisse schon "Rosinen im Kopf" hatte, eine Frau, die etwas von ihrem Leben haben möchte. Sie wehrt sich gegen Jörgs Bevormundung, lauscht fasziniert einer jugendlichen Leipziger Künstlergruppe und man hat das Gefühl, in dieser jungen Frau schlummern Qualitäten, die in diesem Land zum Tiefschlaf verurteilt sind. Da passt es, dass 1961 die Mutter, der als selbstständiger Kauffrau eines Lederwarengeschäftes das Wasser in Form von Warenverweigerung abgegraben und damit die Existenz akut bedroht wurde, die Flucht beschließt. Uta ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Jörg, dem Wunsch, mit ihm eine Familie zu gründen und ihrer Sehnsucht, sich zu entwickeln, zu lernen und zu reisen. Als "Westleserin" bange ich um ihre Entscheidung, rede ihr in Gedanken von dem sie eindeutig einengenden Jörg ab und zur Flucht zu. Aber die Bindungskräfte der Heimat sind nicht zu unterschätzen und auch nicht, dass sie dort eine geborgene Kindheit assoziiert –emotionale Schwergewichte auf dem Zünglein an der Waage.

Ein interessant und gut geschriebenes Buch über ein Land, das (so) nicht mehr existiert und über eine Zeit in diesem Land, die die Menschen geprägt hat. Uta wächst einem ans Herz, und es bleibt spannend bis zuletzt, welchen Weg sie gehen wird.

hsc
01.05.2002

 
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Das Buch:

UBX: Im Gleichschritt Marsch

CMS_IMGTITLE[1]

Herdecke: Scheffler Verlag 2000
343 S.
ISBN: 3-89704-130-8

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