Romane
"Solar" – der Klimawandel hält dank Ian McEwan Einzug in die Literatur
Ian McEwan, dem schon als Schüler die Entscheidung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften schwer fiel, hat sich mit der Recherche für seinen neuen Roman, wie auch schon bei "Saturday" und "Liebeswahn", wieder einmal auf naturwissenschaftliches Terrain begeben. Für "Solar" - so der schlichte Titel seines mittlerweile zwölften Romans - hat er hinter die Kulissen der Solarforschung geschaut. Wie immer scheute McEwan auch dieses Mal keine Mühen - neu ist jedoch, dass er sich ein Gebiet der Wissenschaft ausgesucht hat, dem sich bisher noch kein bedeutender Literat angenommen hat.
Michael Beard, McEwans neuer Protagonist, ist alles andere als ein ehrbarer Vorbildforscher. Als er jung war, hat er den Nobelpreis für die sogenannte Bead-Einstein-Verschmelzung erhalten und ruht sich seitdem auf den früh erworbenen Lorbeeren aus. Er lässt sich weder kulinarische Genüsse noch Angebote von willigen Frauen entgehen und befindet sich mittlerweile in seiner fünften Ehe. Auch diese steht zu Beginn des Romans, als Beard 53 Jahre alt ist, vor dem Aus. Der notorische Betrüger Beard kann es nämlich nicht ertragen, selbst auch betrogen zu werden.
Natürlich ist einer der beiden Liebhaber seiner Frau kein geringerer als sein Assistent, dessen Forschungsergebnisse zur künstlichen Photosynthese Beard für seine eigenen ausgibt, um daraus Profit zu schlagen. Doch damit nicht genug: Den tödlichen Unfall seines Assistenten lässt Beard wie einen Mord aussehen - einen Mord, den der zweite Liebhaber seiner Frau begangen hat.
Im weiteren Verlauf des Romans, der insgesamt neun Jahre abdeckt, nehmen Beards Forscher-Ehrgeiz und sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Menschheit und dem Planeten Erde immer mehr ab, während sein Körperumfang zunimmt. Er wird Unternehmer in der Solarbranche und hat nach der Scheidung von seiner fünften Ehefrau schon wieder eine neue Kandidatin am Start. McEwan hat mit dem Physiker Beard einen Antihelden par excellence geschaffen, der sinnbildlich für die gesamte Menschheit und ihr Verhalten steht. Aufgrund unseres Egoismus, unserer Gier und unserer Gleichgültigkeit sind der Klimawandel und damit die Verschlechterung der Lebensbedingungen unserer Nachfahren nicht mehr aufzuhalten.
Ian McEwan hat mit "Solar" seinen bisher witzigsten Roman geschaffen, der uns mit viel Satire und Slapstick einen Spiegel vorhält. Mit einem ernsten Thema, das aktueller nicht sein könnte, nimmt er den Umweg über die Komik und gelangt so effektiver in das Bewusstsein des Lesers.
Sabine Mahnel
04.10.2010