Romane

Lebensgeschichte und lebendige Geschichte

Krysia Sars literarisches Debüt "Wie in frühen Jahren ..." einem bestimmten Genre zuzuordnen erscheint nicht ganz einfach. Vor allem ist das Buch eine Autobiographie, in der die Schriftstellerin auf ihr reiches Leben zurückblickt und beispielsweise die schweren Kriegsjahre im von Nationalsozialisten besetzten Polen, die entbehrungsreiche Nachkriegszeit, ihr Studium in Moskau, bei dem sie ihren Ehemann kennen lernt, die Übersiedlung in die DDR, das Leben in den USA und später in der BRD beschreibt. Diese Erlebnisse spielen sich häufig vor dem Hintergrund wichtiger geschichtlicher Ereignisse ab, so dass der Leser nebenbei einiges über den Zweiten Weltkrieg, die Zeit des politischen Tauwetters in Polen oder über die deutsche Wiedervereinigung erfährt. Gerade diese Wechselbeziehung zwischen Lebensgeschichte und lebendiger, individuell erlebter Geschichte, macht einen wesentlichen Reiz des Werks aus.

An einigen Stellen ist das Buch auch melancholisch und poetisch, zum Beispiel wenn Krysia Sar vom Tod eines Partisanen am Ende des Krieges berichtet oder die drohende Scheidung von ihrem Mann im Stile einer Kurzgeschichte wie eine unbeteiligte Erzählerin darstellt. Bisweilen verleiht die Autorin ihrem Werk - so bei Reflexionen über Alter, Einsamkeit, Vergänglichkeit, Politik oder die Beziehung zwischen Ost und West - zudem essayistische Züge. Ebenso stilistisch können die Ausführungen von Krysia Sar überzeugen. Dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, wird dem Leser nur an einigen wenigen Stellen bewusst.

Eine besondere Dynamik und erzählerische Leichtigkeit erhält "Wie in frühen Jahren ...", indem die Autorin die Geschehnisse nicht streng chronologisch darstellt, sondern immer wieder auf Dinge zu schreiben kommt, die irgendwie mit dem gerade Berichteten zusammenhängen. Ihr Werk ist zudem durch eine spannende Polyphonie gekennzeichnet. Zunächst einmal versucht Krysia Sar die Ereignisse aus ihrer früheren Sichtweise zu schildern, kommentiert das damals Erlebte aber darüber hinaus immer wieder aus ihrer heutigen Sichtweise oder fügt sogar ältere Briefe und Tagebucheinträge von sich oder anderen ein. Dadurch entsteht eine besondere dialogische Struktur. Kleinere Längen, die dadurch entstehen, dass Krysia Sar manchmal zu sehr Chronistin ist, etwa wenn sie berichtet, was noch aus diesem Verwandten oder jener Bekannten wurde, kommen glücklicherweise nur selten vor.

"Wie in frühen Jahren ..." ist ein interessanter, manchmal poetischer und häufig spannender Rückblick auf ein ereignisreiches Leben sowie eine gelungene Mischung von Lebensgeschichte und lebendiger Geschichte.

Ingo Gatzer
25.05.2010

 
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Das Buch:

Krysia Sar: Wie in frühen Jahren ... Menschen, Orte, Zeiten

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Berlin: Nora Verlagsgemeinschaft Dyck & Westerheide 2009
347 S., € 23,00
ISBN: 978-3-86557-200-4

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