Romane

Falsche Freunde in schlechten Zeiten

Der Sportjournalist Michael Bromm erleidet innerhalb kürzester Zeit körperliche Gebrechen, die er sich nicht erklären kann. Er zittert wie ein Greis, macht sich in die Hose wie ein Kleinkind, stolpert wie ein Betrunkener und hat zu allem Übel auch noch Sehschwächen. Er wartet von Tag zu Tag auf Genesung. Aus Tagen werden Wochen. Nichts tut sich, ganz im Gegenteil. Erst als er nicht mehr in der Lage ist, freihändig zu stehen, begibt er sich zu seinem Hausarzt, der ihm sofort die Einweisung fürs Krankenhaus fertig macht und ihm gleich eine mögliche Diagnose mit auf den Weg gibt. Multiple Sklerose steht im Raum und Michael Bromm kann damit nicht wirklich etwas anfangen. Das kann schließlich unmöglich sein. Doch im Krankenhaus bestätigt sich die Diagnose und er muss anschließend sofort in eine Reha-Klinik.

Das Rauchen, welches er eine Zeit lang eingestellt hatte, nimmt nun wieder einen Großteil in seinem Alltag als Behinderter ein. Er raucht mit Sinn und Verstand, zieht den Qualm tief ein und wartet auf die Wirkung, die sich nicht einstellt. Das Rauchen verändert nicht wirklich etwas, aber es beruhigt ihn und somit steigert er noch seine Dosis. Ansonsten weiß er nicht so recht, wie es weiter gehen soll und wird. Der Kontakt zu Axel Keil, einem ebenfalls an Multipler Sklerose Erkrankten nimmt ihm in gemeinsamen Momenten die Ungewissheit. Doch mit der Zeit resigniert Michael, denn Zukunftssorgen plagen ihn. Wo gibt es überall Stufen? Kommt er noch problemlos überall hin? Kann er weiter als Sportjournalist arbeiten? Muss er sich berenten lassen? Braucht er einen Schwerbehindertenausweis? All diese und noch viel mehr Fragen quälen ihn und Michael versinkt im Rauch. Sein Freund Axel kann das nicht mitansehen. Er selbst hat sich mit der Diagnose abgefunden und ertränkt seinen Kummer allabendlich mit Kräuterlikör. Das müsse doch dem Freund auch helfen, denkt er sich, und beginnt diesen abzufüllen. Anfänglich gegen seinen Willen, kann sich Michael jedoch schon bald darauf nicht mehr wehren. Die beiden sinnieren im Kurpark jeden Abend nach 19 Uhr unter dem Einfluss einer Flasche Kräuterlikör über das Leben eines MS-Kranken. Sie fügen sich dem Schicksal, ständig in die Hosen zu pinkeln, alles zu verschütten, ihren Darmausgang nicht mehr unter Kontrolle zu haben.

Als beide wieder zurück in ihrem Zuhause sind, beschränkt sich ihr Dasein darauf, unbedingt die Tauben der Stadt fernzuhalten, was der ehemalige Boxer Axel mit Leibeskräften versucht durchzusetzen. Bei den taubenfütternden Herren mit Fäusten, bei den taubenfütternden Damen mit Wasserpistolen, die mit Tinte gefüllt sind. Dafür stehen sie allmorgendlich auf. Besuche auf dem Polizeirevier nimmt Axel in Kauf. Michael fühlt sich nicht wirklich wohl, bleibt aber jedesmal nur Zuschauer. Er wird nicht aktiv. Seinen Freund Axel stört das. Er hat Angst, dass Michael wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen könnte. So versucht er, ihn mit Dominanz und gutem Zureden immer wieder aufs Neue weich zu kriegen, zum Trinken. Als Michael in seinem Stammrestaurant die Arzthelferin seines Neurologen wiedertrifft, unterhalten sie sich und aus einer ersten Begegnung werden viele. Cornelia und Michael werden ein Paar und sie übt guten Einfluss auf ihn aus. Auf ihn, der zu viel raucht und trinkt. Sie planen gemeinsam einen Urlaub, doch um Cornelia halten zu können, muss Michael mit dem Rauchen aufhören und sich von Axel fernhalten. Cornelia hat schnell durchschaut, dass Axel kein guter Umgang ist für Michael und setzt ihm die Pistole auf die Brust.

Dieser Roman erzählt nicht die Geschichte eines MS-Kranken in Form eines Ratgebers oder Erfahrungsberichts mit dieser Krankheit. Vielmehr ist es ein unterhaltsamer Roman, der jedoch die negativen Aspekte der Krankheit nicht verschweigt. In erster Linie geht es um die Veränderung, die durch diese Krankheit in ein Leben tritt und um deren Bewältigung, und dann um zwei Freunde, die eigentlich unterschiedlicher nicht sein können. Der eine krankhaft selbstbewusst, der andere momentan nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Er lässt seinen Freund für sich entscheiden, mit durchaus fatalen Folgen. Doch der eine kann ohne den anderen nicht. Jeder geht die Bewältigung seines Schicksals eben anders an. Abgerundet wird dieser Roman noch durch eine kleine kriminalistische Einlage, die sich durch den Roman zieht und Michael Bromm betrifft. Ein Roman also, der vieles abdeckt: Erfahrung und Schicksal, Unterhaltung, Medizin und Erkrankung und leichte Spannung.

Tanja Küsters
15.06.2009 

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Jan Reck: Männer, die im Liegen pinkeln

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2009
516 S., € 19,80
ISBN: 978-3-8372-0382-0

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.