Romane

Die Abgründe der Intelligenz

Guillermo Martínez, promovierter Mathematiker und Schriftsteller aus Argentinien, feierte mit seinen Kriminalromanen "Der langsame Tod der Luciana B." und "Die Pythagoras-Morde" in seiner Heimat schon große Erfolge. Letzterer erhielt 2003 den "Premio Planeta", wurde in 14 Sprachen übersetzt und unter dem Titel "The Oxford Murders" mit Elijah Wood und John Hurt in den Hauptrollen 2007 verfilmt. Sein 1992 in Argentinien erschienener Roman "Acerca de Roderer" liegt nun unter dem Titel "Roderers Eröffnung" auch auf Deutsch vor.

Martínez beginnt seinen Roman - oder besser seine Novelle - mit einer außergewöhnlichen Schachpartie: Der Ich-Erzähler, Abiturient, Klassenbester und heimlicher Schachmeister seines Heimatortes, tritt selbstsicher und siegesgewiss gegen Gustavo Roderer, den neuen Mitschüler, in einer zunächst harmlos anmutenden Schachpartie an. Schnell muss er feststellen, dass er seinem neuen Gegner nicht gewachsen ist. Was immer der Ich-Erzähler tut oder denkt, sein Gegner scheint ihm immer mindestens zehn Schritte voraus zu sein.

In der Schule fällt Roderer durch seine Unfähigkeit, sich anzupassen oder in ein soziales Gefüge einzuordnen, auf. Er folgt dem Unterricht nicht, sondern liest stattdessen seine eigenen Bücher, ist kaum ansprechbar und befindet sich stets im Wettlauf gegen die Zeit - die Zeit, die ihm bleibt, um dem absoluten Wissen auf die Spur zu kommen.

Während es dem Ich-Erzähler trotz seiner Intelligenz gelingt, sich der Wirklichkeit zu stellen, er ein Studium aufnimmt, in eine andere Stadt zieht und ein eigenes Leben beginnt, zieht sich Roderer immer mehr zurück. Er verbringt Tage und Nächte in seinem mit Büchern zugestellten Zimmer und schließt seine Familie und die Frau, die ihn liebt, von seinem Leben aus.

Schon der Lehrer der beiden Hochintelligenten hat den wesentlichen Unterschied zwischen seinen beiden Schülern erkannt und folgendermaßen formuliert: "Da wäre zum einen die assimilierende Intelligenz, die ähnlich wie ein Schwamm alles sofort in sich aufsaugt, die vertrauensvoll vorangeht und von anderen aufgestellte Beziehungen und Analogien selbstverständlich anerkennt, die im Einverständnis mit der Welt ist und sich in allen geistigen Domänen in ihrem Element fühlt." Roderers Intelligenz hingegen beschreibt er als "eine Art von Intelligenz, die die gewohnten Bahnen, die gängigen Argumente, alles Bekannte und Bewiesene als befremdlich oder häufig sogar als feindlich empfindet. Für dieses Intelligenz ist nichts 'normal', sie nimmt nichts an, ohne gleichzeitig eine gewissen Ablehnung zu verspüren." 

Auch Roderers Zukunft hat sein Lehrer mehr oder weniger treffend vorhergesagt, wenn er davon spricht, dass nur wenige dieser zweiten Gruppe von Hochintelligenten den Status Genie erreichen wird, "die übrigen, diejenigen, die auf der Strecke bleiben, finden niemals einen Platz auf Gottes Erden."

Anders als "Der langsame Tod der Luciana B." und "Die Pythagoras-Morde" ist "Roderers Eröffnung" kein Kriminalroman, sondern beschäftigt sich mit der Frage, ob Intelligenz Fluch oder Segen ist. Martínez tut dies auf literarisch hohem Niveau, und es macht Spaß, seinen Gedankengängen, die Mathematik, Logik, Philosophie und Literatur miteinander verknüpfen, zu folgen. Seinem Schreibstil, seinen Gedanken und der Konstruktion seiner Novelle ist anzumerken, dass er zwar nach eigenen Angaben mit Literatur, Büchern und Geschichten aufgewachsen ist und schon schrieb, bevor er die Mathematik für sich entdeckte, aber eben mehr als nur mit Wörtern und Sätzen umgehen kann.

Sabine Mahnel
16.03.2009

 
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Das Buch:

Guillermo Martínez: Roderers Eröffnung. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar

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Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2009
118 S., € 14,95
ISBN: 978-3-8218-5787-9

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