Romane

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Nach Carlo Ruiz Zafóns Sensationsdebüt "Der Schatten des Windes" im Jahre 2001 - die deutsche Übersetzung erschien zwei Jahre später - wurde nun sein zweiter Roman "Das Spiel des Engels" mit höchster Spannung erwartet. Vor allem deswegen, weil in der Literaturszene ein zweiter Roman als Drahtseilakt gilt: Entweder gelingt dem Autor der endgültige Durchbruch oder er bleibt ein "One-Hit-Wonder". Dass Zafón mit dem einstigen Überraschungserfolg "Der Schatten des Windes", der in unzähligen Ländern wochenlang die Bestsellerlisten anführte, nicht als solches in die Geschichte eingehen muss, kann nach der Lektüre des vorliegenden Buches zweifellos festgestellt werden.

Zafón hat es sich dabei allerdings auch leicht gemacht, indem er die Erfolgszutaten aus "Der Schatten des Windes" einfach nochmals aufgegriffen hat: Die Geschichte ist wiederum im Barcelona der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt, auch wenn die damals vorherrschende politische Situation dieses Mal weniger Einfluss auf die Geschichte selbst hat. Zafón lässt auch einige Charaktere aus "Der Schatten des Windes" wieder mitspielen: den einstigen Hauptdarsteller Daniel Sempere, seinen Vater und dessen Kollegen, den Buchhändler Barceló. Nicht zuletzt führt er den Leser erneut auf den Friedhof der Vergessenen Bücher, immer noch beaufsichtigt von Isaac.

"Das Spiel des Engels" wird aus der Sicht des Ich-Erzählers David Martín geschildert: David, ein junger, mittelloser Vollwaise, schafft es, sich mittels eines fließband-ähnlichen Produzierens von Schauergeschichten über Wasser zu halten, was ihm allerdings nicht den Freiraum gibt, sein schriftstellerisches Potential vollends auszuschöpfen. Mehrfach wird ihm von einem dubiosen und mysteriösen Pariser Verleger namens Andreas Corelli ein verführerisches und gefährliches Angebot gemacht. Gesundheitlich angeschlagen, ob einer unerfüllten Liebe am Boden liegend und die Knebelverträge leid, die ihn am Ausleben seiner Fähigkeiten hindern, nimmt er das mit 100.000 Francs dotierte und unheilbringende Angebot an. Zafón bewegt seine Charaktere fortan sowohl auf realen als auch auf irrealen Ebenen. Philosophische Diskussion um das, was eine Religion ausmacht, zwischen David und seinem Patron lassen den Spannungsbogen ein wenig durchhängen.

Unabhängig davon, ob einem diese Kunstgriffe Zafóns zusagen oder nicht, muss ein jeder Leser zustimmen, dass Zafóns Sprache große Literatur ist, ohne dabei übertrieben intellektuell daherzukommen. "Das Spiel des Engels" ist sowohl spannend als auch mystisch und phantastisch, ohne dabei lediglich Krimi oder nur Fantasy-Roman zu sein. Die Bewertung des vorliegenden Romans wird in der Literaturszene dennoch eine weite Streuung erfahren und neben denen, die ihn als das Buch des Jahres feiern werden, wird es viele geben, die diesem heftig widersprechen werden.

Wie bereits in der "Der Schatten des Windes" wird auch hier parallel zur Haupthandlung eine weitere Geschichte erzählt, deren Verfolgung von David aufgenommen wird, was Zafón wiederum dazu veranlasst, die beiden Geschichten mehrmals zusammenzuführen und eins werden zu lassen. Dies mag den realistischen Leser ebenso die Nase rümpfen lassen wie die Wunderheilung Davids oder auch das Auftreten der gottgleichen Gestalt des Verlegers Corelli. Doch kompensiert Zafón dies durch stark gezeichnete und liebenswerte Charaktere wie die beiden Semperes und insbesondere Davids Assistentin Isabella.

Der vorliegende Roman hinterlässt einige logische Ungereimtheiten, so dass beim Leser viel Nachdenken und Überdenken der Zusammenhänge - über die beiden Ebenen der Geschichte hinweg - zurückbleibt und ihn eventuell zu einem zweiten Durchgang durch "Das Spiel des Engels" verleiten mag.

Den Blick nach vorne gerichtet, ist es nun an Zafón, den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen. Selbst John Irving hat irgendwann nicht mehr nur über Bären, Ringen, New England und Wien geschrieben und sich unter anderem damit schlussendlich einen Platz im Olymp der Literatur gesichert. Daher sind die Erwartungen an Zafóns dritten Roman, der hoffentlich nicht so lange auf sich warten lässt wie Nummer Zwei, ganz klar: Bitte ein paar neue Zutaten!

Christoph Mahnel
24.11.2008

 
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Das Buch:

Carlos Ruiz Zafón: Das Spiel des Engels. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar

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Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2008
720 S., € 24,95
ISBN: 978-3-100-95400-8

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