Romane

Zwischen zwei Welten und doch zu Hause

Zwei sich für wahr haltende Welten prallen eines Tages aufeinander: eine, die zivilisierte, die andere, die einem Experiment entsprungen ist.

Ein Container, mitten in einer Einkaufsmeile, irgendwo auf der Welt. Abgeschirmt von der Außenwelt, gedämmt und ohne Fenster, aber mit Frischluft versorgt und sogar einem Garten. In etwa die Größe eines Einfamilienhauses, von innen auch genauso gestaltet. Einzig eine Luke für Essen und Müll ist Zugang von außen nach innen und umgekehrt, ohne dass man jedoch von innen heraus nach außen schauen kann. Um den Container herum hohe Mauern und dahinter sogar noch Stacheldraht.

Gesucht werden Interessenten, die sich auf ein Experiment einlassen. Die sich bereit erklären,  in dieses Haus einzuziehen, aber mit dem Wissen, jederzeit den roten Aus-Knopf betätigen zu können, der ihnen den Weg in die Welt von vorher wieder öffnet. Und tatsächlich findet sich ein Paar. Sie ziehen ein und sind hin und her gerissen von der Welt im Container. Diese Stille, keine Hektik, keine Arbeit, Essen durch die Luke, pünktlich zu vereinbarten Zeiten, einen künstlich angelegten Garten. Was begehrt das Herz mehr? So schlimm kann der Aufenthalt ja nicht werden. Doch schon nach Tagen ist den beiden klar, dass ihnen ihre Familie fehlt, die Menschen, die Bücher. Denn alles existiert – Betten, Papier und Stifte, eine Küche etc., aber kein Fernseher, keine Tageszeitungen, keine Nachbarn. Das Paar ringt mit sich und dem roten Knopf. Und so vergehen Tage und Wochen und Jahre und Jahrzehnte und sie bringen sogar in diesem Container einen Jungen zur Welt. Hatten sie für sich beschlossen, für immer dort zu leben, aber konnten sie das für ihren Sohn Jan auch so bestimmen? Sie würden es tun. Er kannte es nicht anders und sie würden ihn für den Fall der Fälle auf gewisse Dinge vorbereiten, aber ihm nichts von der Außenwelt erzählen.

Jan wuchs in seiner Welt auf, glücklich und zufrieden, bis seine Eltern starben und er alleine war. Selbstzweifel plagten ihn, Ängste kamen auf, Träume quälten ihn, die nur allzu menschlich waren und zu denen er keinen Zugang fand, weil sie ihm fremd waren. Er fand jedoch seinen Rhythmus, malte Bilder, widmete sich Gott, an den er glaubte, und war wieder glücklich in seiner Welt. Wären da nicht die Menschen auf der anderen Seite des Containers, von denen er nichts ahnte und die wiederum nicht ahnten, dass es ihm so gut ging. Die sich nicht vorstellen konnten, dass seit fast 100 Jahren Menschen dort freiwillig verweilten. Also mischten sie sich ein auf eine für sie einfache Weise, die nicht zu schlimme Folgen haben dürfte, die Person im Container aber hellhörig machen würde auf die Welt da draußen. Doch leider geht dieser Schuss nach hinten los, denn Jan denkt, es sei eine Strafe Gottes. Sein Leben gerät aus den Fugen und als das Essen in der Luke nicht mehr regelmäßig abgeholt wird oder der Müll nicht aus dem Container herauskommt, beschließt man eine Rückhol- und Rettungsaktion, die genauso größenwahnsinnig inszeniert wird, wie seinerzeit die Einleitung des Experimentes. Menschen eben. Glauben, alles zu wissen und sind dabei so nichts ahnend. Eine Psychologin wird eingeschleust und die Dinge nehmen ihren Lauf, allerdings anders, als von allen Beteiligten erhofft und gedacht. Ganz anders!

Die Autorin hat zu Beginn des Buches darüber informiert, dass es eine fiktive Geschichte ist, doch der Leser ist mit den ersten Zeilen tief im Experiment versunken und begreift nur zwischendurch bei ein paar Ungereimtheiten, dass es ja alles erfunden ist. Doch sofort taucht man wieder ein, fragt sich, wie man selber sich fühlen würde und erkennt, dass man doch Gleiches alltäglich erfährt, wenn auch in einem Container, der sich Erde nennt. All die Ängste, Zweifel und Gespräche, die dort geführt werden, ähneln denen, die wir täglich führen. Und dafür so ein Aufwand? Das Experiment erklärt sich von selbst, sozusagen. Man begreift, dass der Mensch immer mehr wissen und herausfinden will, bereit dafür ist, andere ins Unglück zu stürzen, um der Sensations- und Machtgier willen. Und was kommt letztlich dabei raus? Dass man Mensch bleibt, in Beziehungen steckt, sich Fragen stellt, mit Gott hadert, einsam ist und auch wieder nicht, Angst hat und auch wieder nicht, traurig ist und dann wieder freudig. Dass man sucht und findet, sich neu orientiert und anpasst und sich immer wieder ausbalanciert – erdet, irgendwie allem gewachsen ist. Das erkennt man jedoch erst mit Fortschreiten des Experimentes. Man denkt, Wunder was passiert und alles was passiert ist so vorhersehbar und man erkennt die Unnötigkeit die doch so wichtig war, weil man sich selbst sonst nicht erkannt und gefunden hätte.

Dieses Buch bietet alles und nichts, Fiktion und Ernüchterung und doch so viel Realität. Zwischenmenschliche Beziehungen und doch so viel mehr dazwischen. Es lässt Raum für viele Gedanken und man hat die Chance, sein Leben neu zu überdenken, seine Rolle darin, seine Wünsche und Ziele. Jeder kann selbst entscheiden, ob er sich lesend auf das Experiment einlassen will. Die Autorin zwingt einem nicht zu viel und auch nicht zu wenig auf, sie überlässt es dem Leser und bietet mehrere Wege…

Tanja Küsters
27.10.2008

 
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Das Buch:

Kristina Hazler: Das Experiment – Erwachen im MenschSein

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Wien: Hazler Verlag 2008
350 S., € 21,00
ISBN: 978-3-950-25869-1

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