Romane

Träume können wahr werden

Der Baron von Münchhausen hat sich durch seinen enormen Einfallsreichtum hervorgetan. So jagt er beispielsweise einen achtbeinigen Hasen, fasst einem Wolf in den Schlund und wendet sein Inneres nach außen oder reitet auf einer Kanonenkugel. Ganz so abenteuerlich sind die "Lügenmärchen" von Sophie zwar nicht, aber sie hat ihren Beinamen "Fräulein Münchhausen" nicht umsonst einst von ihrer Mama erhalten. Denn wenn sie anfängt, etwas zu erzählen, läuft es zwangsläufig auf eine dramatische Lügengeschichte hinaus. Nur dumm, dass ihr Angebeteter Tom nichts mehr hasst als Lügen.

Alles beginnt auf der Hochzeit von Sophies Bruder Markus mit Sibylle. Um ihre Eltern nicht zu blamieren, macht sich Sophie - ursprünglich Fotografin, inzwischen aber arbeitslos, hält sich mit diversen Nebenjobs mehr schlecht als recht übers Wasser, lebt mit den zwei alten Omas Lotti und Hedi in einer WG und war bisher doch im Großen und Ganzen mit ihrem Leben ganz zufrieden - extra schick. Ihre beste Freundin Özge hat ihr speziell für diesen Anlass ein schickes Oberteil und eine Hose genäht. Als einen besonderen Gag hat Sophie bei der Hochzeit eine "teure" (eigentlich doch eher eine imitierte) Designerhandtasche dabei sowie eine Rolex und einen Autoschlüssel für ihren Ferrari, der ständig in der Werkstatt ist.

Auf der Hochzeit lernt Sophie Tom kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch er geht davon aus, dass Sophie als erfolgreiche Jungunternehmerin ihr Geld verdient, während er sich als Arbeitsloser durchs Leben schlägt. Er gibt ihr deutlich zu verstehen, dass er nichts so sehr hasst, als wenn er angelogen wird. Damit bringt er Sophie in die Bredouille, denn schließlich hat sie genau das gemacht.

Sophie beschließt, ihre Lügengeschichte der Realität anzupassen und sich selbstständig zu machen. Ihr Talent: Sie ist in handwerklichen Dingen sehr geschickt. Was liegt da also näher, als eine Handwerkerschule zu eröffnen, in der sie ihr Wissen mit anderen Menschen teilen kann und obendrein damit Geld verdient. Sophie macht sich an die schwere Arbeit, diesen neu entdeckten Traum zu verwirklichen. Da macht es auch nichts aus, dass sich Tom für längere Zeit auf einer Bohrinsel tummelt und sich die beiden so gut wie nicht mehr sehen.

Obendrein gibt es aber noch andere Probleme zu lösen: Bruder Markus steckt kurz nach der Heirat in einer Ehekrise, da seine Frau ihn betrügt; die beste Freundin Özge flirtet mit dem GEZ-Eintreiber, der Sophies Mitbewohnerin Lotti das Geld aus der Tasche ziehen will; Lotti wird immer vergesslicher (Diagnose Alzheimer); und ihre Zimmerpflanze Miss Hepburn wird philosophisch. Es gibt also viel zu tun für Sophie: Sie muss ihren Bruder (ein Geistlicher) zumindest seelisch unterstützen, zerstreitet sich so sehr mit Özge, dass zwischen den beiden totale Funkstille herrscht, und eine Stütze für Lotti (und noch mehr für Hedi) sein. Aber dabei vergisst sie nicht, dass das Projekt "Selbstständigkeit" ihre volle Aufmerksamkeit braucht.

Sophie ist eine Frau, der man(n) an jeder Straßenecke begegnen kann. Um sich für ihren Traummann interessanter zu machen, erfindet sie sich als eine erfolgreiche Jungunternehmerin. Anfangs ist sie in ihrer Lebenssituation so festgefahren, dass sie in den Tag hineinlebt und ihr Wille scheint immer mehr und mehr zu sinken. Tom als Rettungsanker ist dann ideal. Dabei tut er sich glücklicherweise aber nicht als Macho hervor, sondern als ein liebenswerter Kerl, der selbst nach vielen Enttäuschungen sein Glück versuchen will und sein Leben wieder in die Hand nimmt.

Ursprünglich will sich Sophie nur für Tom selbstständig machen, aber im Verlauf des Romans zeichnet sich eine Wende ab: Sophie gewinnt an Selbstbewusstsein und erkennt, dass sie diese ganzen Unternehmungen schließlich nur für sich alleine macht. Sie wächst zu einer starken Frau heran, der man alles abnimmt - auch ihre früheren Lügenmärchen, die sie aber irgendwann doch aufgibt, da sie erkennt, dass diese nur zu Enttäuschungen führen würden.

Aufgepeppt wird die Handlung durch die zahlreichen teils skurrilen Personen, vor allem Sophies Mitbewohnerinnen Lotti und Hedi, die zwar alt, aber doch noch sehr robust sind. Wir lachen mit ihr und weinen mit ihr. So ist zum Beispiel der Selbstmord von Sophies Lehrmeister Josef Bergson, der seinen Fotoladen aufgrund des Einmarsches der Digitaltechnik aufgeben musste und damit nicht fertig wurde, ein tragischer Moment in Sophies Leben.

Sophie steht letztendlich als eine starke, unabhängige Frau da, die genau weiß, was sie sich im Leben wünscht. So manch andere(r) erträumt sich so etwas vielleicht auch für sich selber. Somit ist das Buch für all jene lesenswert, die noch gerne träumen, aber dabei die Realität keineswegs aus dem Augen verlieren.

Susann Fleischer
22.09.2008

 
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Das Buch:

Silke Schütze: Als Tom mir den Mond vom Himmel holte

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München: Knaur Verlag 2008
378 S. € 12,95
ISBN: 978-3-426-66338-7

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