Romane

Die Suche nach der Schönheit der Welt

Auch im 21. Jahrhundert kann sich unsere Gesellschaft nicht von jeglichen gesellschaftlichen Vorurteilen lossagen. Deshalb führt die 54-jährige Renée, Concierge in einem noblen Stadtpalais im vornehmen Pariser Stadtteil Saint Germain, ein Doppelleben: Für die Bewohner des Hauses ist sie die typische Concierge – schlurfend, schlecht gelaunt und immer dem Fernseher im Hintergrund lauschend. Keiner ahnt, dass sie, die Bauerstochter aus ärmlichen Verhältnissen, weitaus gebildeter ist als so manch einer der reichen Hausbewohner. Sie liest Marx, Kant, Husserl und Tolstoi, beschäftigt sich mit Phänomenologie und sucht nach der Schönheit in der Welt. Nur will sie auf keinen Fall, dass irgendjemand merkt, dass sie nicht die typische Concierge ist, für die sie alle halten. Sie will kein Aufsehen erregen und womöglich ihre langjährige Anstellung gefährden, weil die Gesellschaft der Reichen und Schönen keine Concierge duldet, die belesener und gebildeter ist als sie es selbst sind.

Die zwölfjährige Paloma ist die Tochter reicher Eltern und Bewohnerin des Stadtpalais, in dem Renée ihrer Tätigkeit als Concierge nachgeht. Sie ist zu allem Überfluss nicht nur potentiell reich, sondern auch noch überdurchschnittlich intelligent. Aber genau wie Renée versucht auch Paloma dies, so gut es geht, zu verbergen. Sie orientiert sich in der Schule an der Zweitbesten der Klasse, um bloß nicht zu gut zu sein. Paloma fühlt sich unverstanden von ihrer Familie, zieht sich lieber zurück, lernt Japanisch, liest Mangas und schreibt Tagebuch: ein Tagebuch, in dem sie „Tiefgründige Gedanken“ festhält und eines, das sie „Tagebuch der Bewegung der Welt“ nennt. In diese persönlichen Aufzeichnungen erhält der Leser Einblicke und erfährt somit auch, dass Paloma beschlossen hat, sich an ihrem 13. Geburtstag umzubringen, denn sie will auf keinen Fall so verlogen werden wie die Erwachsenen und sieht keinen anderen Ausweg als den Tod.

Doch dann zieht ein neuer Bewohner in das feine Stadthaus in der Rue de Grenelle ein und bringt die bisherigen Verhältnisse gewaltig aus dem Gleichgewicht. Der japanische Geschäftsmann Kakuro Ozu, ungefähr 60 Jahre und genauso wie Renée verwitwet, ist so gar nicht vergleichbar mit den anderen Reichen dieses Hauses. Er ist ein offener und unvoreingenommener Typ, der sich schnell mit Paloma und Renée anfreundet. Aber genau diese neuen Freundschaftsbande drohen sowohl Renées mühsam aufrecht erhaltene Fassade als auch Palomas Welt grundlegend zu zerstören.

Muriel Barbery lässt in ihrem zweiten Erfolgsroman mit den Figuren Renée und Paloma zwei sehr unterschiedliche Personen, die sich letztlich aber im Wesen sehr ähnlich sind, von ihrem Alltag berichten. Der Leser kann anhand der ständigen Erzählerwechsel – einerseits Renées Berichte und andererseits Palomas Tagebucheintragungen – in beide Welten eintauchen und wie ein unsichtbarer Beobachter über die Rue de Grenelle wachen. Was zu Beginn von wenig Handlung geprägt und sehr statisch ist, da Barbery ihre Figuren häufig sehr philosophisch werden lässt, nimmt an Abwechslung und Spannung zu, sobald der Japaner Kakuro Ozu die Bühne bzw. das Haus betritt. Er bringt nicht nur Abwechslung in Renées und Palomas Dasein, sondern auch in die Handlung.

In Muriel Barberys Heimat Frankreich ist „Die Eleganz des Igels“ schon ein Bestseller und hat sich über 700.000mal verkauft. Bereits in 27 Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet ist ihr Erfolgsroman nun auch erstmals auf Deutsch erschienen.

Sabine Mahnel
16.06.2008

 
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Das Buch:

Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder

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München: dtv 2008
380 Seiten, € 14,90
ISBN: 978-3-423-24658-3

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