Romane
Über einen Mann in seinen eigentlich besten, aber in Wirklichkeit schlechtesten Jahren
Ist der Untergang des alten weißen Mannes beschlossene Sache oder sollte man mit dieser Spezies doch gnädig sein? Hans Benedek, einst ein gefragter Feuilletonist, hat seinen Bedeutungsverlust selbst noch gar nicht realisiert. Er wähnt sich weiterhin als Mann von beträchtlichem Einfluss, glaubt, dass alle Welt die Ohren spitzt, wenn er einen Gedanken formuliert. Aber die Zeichen mehren sich, dass sich etwas verändert hat. Seine ständigen Affären mit Praktikantinnen sind nicht mehr so unbeschwert wie noch vor einigen Jahren. Seine Tochter beschimpft ihn als Mörder, da er immer noch Bacon zum Frühstück isst. Und seine Mittagessen muss er plötzlich aus eigener Tasche bezahlen. Wehmütig erinnert sich Hans an frühere Zeiten zurück, ganz nach dem Motto: Damals war alles besser!
Als seine Frau ihn auf die Idee bringt, ein Porträt über die gefragteste junge Feministin des Landes zu schreiben, wittert Hans seine Chance. Doch die Begegnung mit der gerade einmal vierundzwanzigjährigen Alexandra "Xandi" Lochner wird Hans in einen Abgrund von bisher ungekannter Tiefe stürzen. Die junge Frau nimmt kein Blatt vor dem Mund, hat eine Politikerin zum Rücktritt gezwungen und kennt auch sonst keinerlei Tabus. Bei ihrem Treffen bei einem Event in Baden-Baden merkt Hans aber auch, dass Xandi eine junge Frau mit Angst vor psychischen Verletzungen ist. Noch verwunderlicher: Hans erkennt, dass seine journalistischen Superstar-Zeiten eigentlich längst vorbei sind. Er steckt mitten in einer Midlife-Crisis. Und nicht nur er, sondern mit ihm auch so mancher Leser ...
Literatur, die so überraschend ist wie eine Wundertüte - "Ciao" enthält, ähnlich wie das Ü-Ei, jede Menge an Spaß und Spannung. Autorin Johanna Adorján gelingt ein ganz großer Wurf auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Das lohnt definitiv eine Entdeckung! Kaum aufgeschlagen, fühlt man sich ganz schwindelig ob der Erzählkunst der Ausnahme-Schriftstellerin. Gleich ab der ersten Seite zeigt sich Adorjáns Schreibtalent. Es ist auf höchstem Niveau, macht ganz trunken und zaubert Lesern und Leserinnen ein extrabreites Lächeln auf die Lippen. Da ist man ganz enttäuscht, dass diese Geschichte mit nicht einmal 300 Seiten eigentlich viel zu dünn geraten ist. Und doch ist kein Satz zu wenig oder gar zu viel, alles genau auf dem Punkt erzählt. Da haut's einen glatt vom Hocker!
Was die Johanna Adorjáns "Ciao" so besonders, fast schon einzigartig macht? Die Story unterhält nicht nur aufs Herrlichste, Amüsanteste, sondern zwischen zwei Buchdeckeln finden auch alle großen, wichtigen Themen unserer Zeit (darunter MeToo, Gendern, Feminismus, Klimaschutz und viele andere mehr) ihren Platz. Das macht das Vergnügen gleich doppelt und dreifach so groß. Von diesem kann man nicht anders, als einfach nur begeistert zu sein über alle Maßen. Solch eine Lektüre gehört in den Bestsellerlisten nach ganz weit oben. Unbedingt!
Susann Fleischer
20.09.2021