Romane

Tragisch-komische Kindheitsgeschichte aus Russland

Pawel Sanajew erzählt in seinem Debütroman "Begrabt mich hinter der Fußleiste" aus Sicht des 9jährigen Sascha dessen Kindheitserlebnisse. Der Junge wächst seit seinem vierten Lebensjahr bei seinen Großeltern auf und hat das Schicksal vor allem für die Großmutter eine Last zu sein, was sie ihn tagtäglich durch übelste Beschimpfungen, wie zum Beispiel "Miststück", "Idiot" und "Hundesohn" – um nur die harmloseren Titulierungen für ihren Enkel zu nennen -, spüren lässt. Hinzu kommt eine krankhafte, erdrückende Sorge der Großmutter um Sascha, die ihn in jedem Lebensbereich einengt und die ihm keinen Freiraum für ein kindgerechtes Leben lässt. Sie geht sogar soweit mit seiner Angst vor dem Tod zu spielen, indem sie ihm unaufhörlich einredet, er sei unheilbar krank. Daher rührt auch der Titel des Romans – Sascha hat Angst vor dem Tod und möchte hinter der Fußleiste begraben werden, um von dort aus durch die Ritzen ins Zimmer zu seiner Mutter schauen zu können. So ist auch die Mutter der einzige Lichtblick in Saschas Leben, aus ihren seltenen Besuchen kann er viel Hoffnung gewinnen – er nennt sie liebevoll "Flittchen", ein Begriff, der natürlich von der Großmutter stammt, für ihn aber ein Kosewort, das seine Sehnsucht zu ihr zum Ausdruck bringt. So muss er auch mit den Lügengespinsten klarkommen, die die Großmutter über seine Mutter entwirft und demzufolge ist es erstaunlich, wie der Junge dies alles erträgt, wie er die Liebe zu seiner Mutter aufrechterhält, wie er die permanenten Schimpftiraden hin nimmt und gleichsam über den Dingen zu stehen scheint, kann er doch zuweilen das Verhalten der Großmutter in gewissem Maße lenken. Doch nicht nur Sascha muss sich der Großmutter unterordnen, auch der Großvater ist Opfer ihres harten Regiments. So wie Sascha als kleine Flucht aus seinem entbehrungsreichen, von Enttäuschungen geprägtem Leben die Liebe zu seiner Mutter hat, verschwindet der Großvater, in seinem Beruf leider relativ erfolglos, gelegentlich als Schauspieler auf Tourneen. Der entscheidende Vorteil des Großvaters gegenüber Sascha liegt aber eben darin, dass er die Möglichkeit hat, den Wutausbrüchen seiner Frau für wenigstens ein paar Tage zu entkommen. Doch auch Saschas Mutter erkennt eines Tages die inakzeptable Situation, in der sich ihr Sohn befindet…

Vor allem die derben Beschimpfungen der dominanten Großmutter mögen auf den ersten Blick erschrecken, doch Sanajew legitimiert dies bereits im ersten Kapitel durch einen Kommentar des Ich-Erzählers, der zwar mitten im Geschehen steht, aber auch aus einer gewissen Distanz heraus die Ereignisse schildert: "Natürlich könnte ich diese Tiraden in meinem Bericht um die Hälfte kürzen, aber dann würde ich mein eigenes Leben auf diesen Seiten nicht wieder erkennen, ebenso wie ein Wüstenbewohner, die ihm seit jeher bekannten Dünen nicht wieder erkennen würde, wenn plötzlich die Hälfte des Sandes verschwunden wäre." Überhaupt besitzt der Roman, nicht zuletzt durch diese Erzählerkommentare, aber auch grundsätzlich aufgrund der sachlichen Schilderung aus Sicht des neunjährigen Jungen, ein großes Maß an Authentizität – auch wenn vor allem die Figur der Großmutter bis ins Groteske verzerrt erscheint. Sicherlich kann Sanajew auch autobiographische Züge nicht leugnen, denn wie Sascha entstammt der russische Autor einer Schauspielerfamilie und auch die Namensähnlichkeit Sanajew-Saweljew ist offensichtlich. Neben allen tragischen Elementen nimmt jedoch auch eine makabre Form von Komik einen großen Raum ein und bildet mit diesen ein gelungenes Wechselspiel. So kann man sich viele Szenen geradezu wie filmisch umgesetzte Slapstick-Einlagen vorstellen, nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Sanajew vor allem als Drehbuchautor arbeitet.

Pawel Sanajew offenbart in seinem Debütroman viel von seiner exzellenten Gabe, eine Komik darzubieten, die kein Lachen auslöst, sondern manchmal ein ungutes Gefühl, zuweilen aber auch eine tiefe, ernste Traurigkeit und Betroffenheit hinterlässt. Folgerichtig wird das Buch im Klappentext als ein Werk beschrieben, dass einen "literarischen Aufbruch" markiert.

Claudia Birk-Gehrke
03.03.2008

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste. Roman. Aus dem Russischen von Natascha Wodin.

CMS_IMGTITLE[1]

München: Verlag Antje Kunstmann 2007
237 S., € 17,90
ISBN: 978-3-88897-464-9

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.