Romane

DAS Literaturwunder dieses Jahres, ein (fast) alles überstrahlendes Juwel im Bücherregal

Die Pest erreicht Stratford-upon-Avon im Sommer 1596. Gerade noch spielten Judith und ihr Zwillingsbruder Hamnet mit den Katzenjungen, jetzt ist ihr ganz heiß, ganz kalt, und ihr Körper übersät mit Beulen. Er sucht verzweifelt nach Hilfe. Er ruft seine Mutter Agnes, die ihn nicht hört, weil sie ihre Bienen im Garten vor der Stadt pflegt; ruft die ältere Schwester, die Großmutter, sogar den Vater. Dabei weilt der Meilen und einen Zwei-Tages-Ritt entfernt in London. Er wird erst heimkehren, wenn die Theater wegen der Seuche schließen müssen. Als Agnes endlich nach Hause kommt, scheint es für ihre Tochter fast zu spät. Es bleibt nur Zeit, von ihr Abschied zu nehmen; und über das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen nachzudenken. Die Erinnerungen an glücklichere Zeiten holen Agnes ein.

Agnes und ihre großen Liebe lernen sich kennen, als er ihr Lateinlehrer ist, und sie eigentlich noch zu jung für die Ehe. Schnell kommen sie sich näher. Und schon bald ist sie froher Hoffnung. Ihre Stiefmutter verstößt sie, aber bei ihrem frischgebackenen Ehemann und dessen Eltern findet Agnes ein neues Zuhause. Der Handschuhmacher John nimmt die Schwangere bei sich auf. Agnes ist ihre Chance für einen Neuanfang. Seit dem Pesttod seiner Schwester vor vielen Jahren ist die Familie gelähmt vor Trauer und Schwermut. Doch dann schlägt das Schicksal erneut erbarmungslos zu: Vierzehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung muss sie um ihr Auskommen kämpfen, während ihr Mann wer weiß was mit diesen Theaterstücken treibt. Er ist in London, als Agnes im Blick ihres Sohnes den Schwarzen Tod erkennt ...

Unterhaltung, die einen partout nicht mehr loslässt - Maggie O'Farrell beherrscht das Schriftstellerhandwerk auf höchstem Niveau. Ihre Romane sind noch nie dagewesene Meisterwerke der Erzählkunst. Ob "Judith und Hamnet" möchte man nichts anderes mehr lesen. Man verliert sich mit allen Sinnen in dieser Lektüre und fühlt sich nach der letzten Seite wie trunken von solch einem Vergnügen der Extraklasse. O'Farrell ist ein Ausnahmetalent unter Nordirlands Autorinnen. Die Geschichten aus ihrer Feder sind etwas ganz Besonderes, etwas Seltenes im Bücherregal. Mit dieser Neuerscheinung setzt sie William Shakespeare ein literarisches Denkmal, das seinen Theaterstücken mindestens ebenbürtig ist, und zwar nicht nur in Bezug auf Poesie, Emotionen, Leidenschaft und Spannung. Einfach nur grandios!

Maggie O'Farrells Erzählkunst ist absolut berauschend. Gleich ab dem ersten Satz erliegt man dieser mit allen Sinnen. Sich der Sogkraft von "Judith und Hamnet" zu entziehen, ist schier unmöglich. Man liest den vorliegenden Roman mit glänzenden Augen, zugleich einem schweren wie auch leichten Herzen. Solch eine Lektüre bleibt einem noch lange in schönster Erinnerung. Damit nicht genug: Man lernt einen der größten, berühmtesten Dramatiker in der Weltgeschichte als privaten Menschen von seiner intimsten Seite kennen. Als sähe man durch ein Guckloch in die Gemächer Shakespeares und seiner Familie. O'Farrell ist auf der Höhe ihres Könnens.

Susann Fleischer 
26.10.2020

 
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Das Buch:

Maggie O'Farrell: Judith und Hamnet. Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag

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München: Piper Verlag 2020 416 S., € 22,00 ISBN: 978-3-492-07036-2

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