Romane

Post-moderne Beziehungsdramen

Frances und Bobbi, beide Anfang 20, sind zwei Freudinnen, die in Dublin studieren, irgendwelche Fächer in Richtung Literatur, aber vor allem das Leben und verschiedene Arten von Beziehungen. Die beiden waren vor einiger Zeit mal ein Paar, was immer das heißen mochte. Nun sind sie nur noch gute Freundinnen, die zusammen an Spoken-Word-Performances teilnehmen, also Texte, sowohl eigene als auch fremde, vortragen. Am Rande einer solchen Veranstaltung lernen die beiden ein gut zehn Jahre älteres Ehepaar kennen: Melissa und Nick. Sie arbeitet als Fotografin und setzt Frances und Bobbi nebenbei optisch gut in Szene. Ihr Ehemann Nick verdient seine Brötchen als Schauspieler, beide zusammen weisen einen gehobenen Lebensstandard auf, an dem sich Frances und Bobbi gerne laben. Sie genießen die Einladungen zu Partys und nach Frankreich, wo alle Vier zusammen mit weiteren Freunden dialog- und emotionsreiche Tage verbringen.

Es kommt, wie es in einer derartigen Konstellation kommen musste. Frances und Nick fühlen sich zueinander hingezogen und beginnen eine Affäre. Für Frances kommen die mit Nick ausgelebten heterosexuellen Aktivitäten dem Betreten von Terra incognita gleich, für den verheirateten Schauspieler bedeuten sie ein Übertreten gesellschaftlicher Normen in Bezug auf Treue in der Ehe. Bobbi hingegen flirtet subtil mit Melissa, die übrigen Miturlauber halten mit ihren Beobachtungen nicht hinterm Berg und sorgen so für die eine oder andere heikle Situation. Schließlich bricht sich der Offenbarungsdrang in Frances und Nick Bahn und Melissa wird über die Affäre in Kenntnis gesetzt. Doch wie in einer derartigen Melange freiheitsliebender Charaktere nicht anders zu erwarten, fallen die Reaktion und die Fortführung von Affäre und Ehe anders aus als in klassischen Lebensmodellen.

Sally Rooney ist der Shooting-Star der irischen Literaturszene, Baujahr 1991, geboren und aufgewachsen in Castlebar im County Mayo, dem kargen und strukturschwachen irischen Westen. Mit ihrem Debütroman "Conversation with Friends", zu dem die vorliegende deutsche Übersetzung mit dem Titel "Gespräche mit Freunden" dieser Tage beim Luchterhand Literaturverlag erscheint, hat sie für erhebliches Aufsehen gesorgt und bereits einige Buchpreise eingeheimst. Im vergangenen Jahr legte sie mit "Normal People" nochmal nach und konnte ihre Trophäensammlung weiter ausbauen. Konservative Leser nähern sich für gewöhnlich durch die Decke schießenden Debütanten und ihren Werken erst einmal mit meist berechtigter Skepsis, auch wenn einen die überschwänglichen Vorschusslorbeeren und Stimmen zum englischen Original von "Gespräche mit Freunden" glauben lassen wollen, dass man garantiert ein einmaliges und noch nie dagewesenes Buch in Händen hält.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte: Sicherlich handelt es sich bei Sally Rooney um eine mehr als durchschnittliche Schriftstellerin, die einen mit ihrer Art zu schreiben fesseln und in den Bann ziehen kann. Dabei vollführt sie im vorliegenden Buch mit ihren Inhalten allerdings eine Gratwanderung, wenn sie den intellektuellen Wust in den Köpfen ihrer beiden Protagonistinnen zu Papier bringt. Eventuell ist das Thema in "Gespräche mit Freunden" auch nicht kompatibel mit der Denkweise konservativer und gesellschaftlich auf Spur befindlicher Leser. Ließe sich das Hüh und Hott im Liebesreigen von Frances wenigstens auf Basis empfundener Lust erklären, könnte man die Irrungen und Wirrungen der jungen irischen Studentin noch nachvollziehen. Doch wäre dies mutmaßlich viel zu profan. Sally Rooney betreibt Gedankenakrobatik für Fortgeschrittene, wenn sie Frances und Bobbi auf ihre Freunde loslässt. Wer seit dem Film "Lammbock" dachte, dass man hierfür zwingend Cannabis benötigte, merkt rasch, dass berauschende Mittel dafür nicht unbedingt notwendig sind.

Vielleicht ist es aber tatsächlich eine Frage des Alters, inwieweit man den Gedankengängen in "Gespräche mit Freunden" folgen kann. In diese Kerbe zumindest schlug bereits die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einer Betrachtung des vorliegenden Buches und den Fragestellungen, wie es heute denn wohl sei, wenn man jung ist, und wie sich insbesondere Liebe und Beziehungen in diesen Zeiten anfühlen. Doch ist für den Kauf und den Genuss dieses Buches primär entscheidend, ob man nachvollziehen kann, wenn es sich für Bobbi so anfühlt, dass die "Fetischisierung der unberührten Natur intrinsisch patriarchalisch und nationalistisch" sei. Wer da noch mitkommt, wird an "Gespräche mit Freunden" seine helle Freude haben. Wer nicht, der wird zumindest über den Verlauf der amüsant erzählten Geschichte, den in kurzer Frequenz einsetzenden Höhen und Tiefen sowie den beständig wechselnden Zu- und Abwendungen schmunzeln können.

Christoph Mahnel 
22.07.2019

 
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Das Buch:

Sally Rooney: Gespräche mit Freunden. Aus dem Englischen von Zoë Beck

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München: Luchterhand Literaturverlag 2019 384 S., € 20,00 ISBN: 978-3-630-87541-5

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