Romane
Die Ottonen-Saga geht weiter
Vor über tausend Jahren herrschte hierzulande Otto der Große, erst als Herzog und König, ab 962 n. Chr. als römisch-deutscher Kaiser. Elf Jahre vor dieser Kaiserkrönung wird seine spätere Ehefrau Adelheid, die verwitwete König Italiens, aufgrund von Thronstreitigkeiten auf einer Burg bei Garda gefangen gehalten. Gaidemar, ein Reiter aus Ottos Truppe, wird mit einem wichtigen, aber sehr gefährlichen Auftrag ausgestattet: Er soll Adelheid aus ihrer Gefangenschaft befreien. Gesagt, getan, doch verliebt sich der Bastard bei der geglückten Befreiungsaktion in die Adelige, die wenig später von Otto höchstpersönlich vor den Traualtar geführt wird. Gaidemars Tat wird reich belohnt, er erklimmt in Ottos Gefolgschaft die Karriereleiter, feiert auf dem Schlachtfeld Erfolge an dessen Seite und verlobt sich schließlich mit einer Fürstentochter.
"Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ...", so könnte an dieser Stelle die Geschichte Gaidemars sicherlich enden. Jedoch wäre die vorliegende Erzählung dann garantiert viel zu seicht und undramatisch, als dass sie aus der Feder einer gewissen Rebecca Gablé stammen könnte. "Die fremde Königin" lautet der Titel des neuesten Historienromans der Frau, die in der hiesigen Bücherszene als bedeutendste Lehrerin mittelalterlicher Geschichte fungiert. In den letzten zwei Jahrzehnten hatte sie sich vor allem der Geschichte des englischen Mittelalters gewidmet. Angefangen mit "Das Lächeln der Fortuna" im Jahre 1997 hat sie in ihren zahlreichen Wälzern die bedeutendsten geschichtlichen Ereignisse und Persönlichkeiten Britanniens zwischen dem elften und sechzehnten Jahrhundert abgegrast. Doch rechtzeitig, bevor sich das Vereinigte Königreich in die Neuzeit verabschiedete, hat sich Gablé ein weiteres geschichtliches Feld erschlossen, mit dem sie auch in den kommenden Jahren Erfolge feiern kann.
Anno 2013 erschien mit "Das Haupt der Welt" ihr erster Historienroman, der nicht auf englischer, sondern auf deutscher Geschichte basierte. Zeitlich setzte er im Jahre 929 n.Chr. an, und bereits in diesem ersten Teil nahm der junge Otto einen bedeutenden Part ein. "Die fremde Königin" bildet nun die nach dem großen Erfolg des Vorgängerromans heiß ersehnte Fortsetzung dieser neuen Reihe Rebecca Gablés. Dabei bleibt die Autorin ihrem gewohnten Muster treu und spinnt aus historischen Ereignissen und Personen gepaart mit fiktiven Protagonisten ihre Erzählungen in Romanform. Dass der interessierte Leser neben einer blendenden Unterhaltung dabei noch eine gehörige Portion Geschichtsunterricht erfährt, wird natürlich gerne als Argument für die Romane Gablés hergenommen. In der Tat ist es ein Erfolgsrezept, Geschichte auf einem Fundament von Geschichten anzupflanzen, da jeder die Problematik kennt, wenn er sich geschichtlichen Ereignissen ohne jeglichen Kontext oder Bezug nähern möchte.
Im vorliegenden Fall ist besagter Gaidemar das, was in den früheren Romanen Gablés die Waringhams waren, nämlich die fiktive Persönlichkeit, die die Handlung treibt und an der sich diese ausrichtet. Zu den historischen Personen hat die Autorin wie immer hervorragend recherchiert und in der Umsetzung mit ihrem Wissen auch nicht gegeizt. So gelingt es ihr stets, die richtige Balance zwischen hoher Information und hervorragender Unterhaltung zu finden. Mit über 750 Seiten nimmt sich Rebecca Gablé bei "Die fremde Königin" wieder einmal viel Raum, um sich angemessen ausbreiten zu können. Natürlich hat der Leser im Kontext einer mittelalterlichen Epoche erstmal damit zu kämpfen, die vielen Personen auseinanderzuhalten und vor allem deren gegensätzlichen Bestrebungen und Interessen zu sortieren.
Der herausgebende Lübbe Verlag sorgt mit einfachen Hilfsmitteln dafür, dass der Leser, wenn er einmal den Faden verloren hat, diesen rasch wieder aufnehmen kann, sei es mit Hilfe der beiden Karten, einer mit der damaligen politischen Geographie Europas und einer weiteren mit Ottos Stammbaum, oder der umfangreichen "Dramatis Personae". Darin wird auch ersichtlich, bei welchen Personen es sich um historische bzw. um fiktive Zeitgenossen handelt. "Die fremde Königin" ist für Fans von Rebbeca Gablé und geschichtsinteressierte Bücherschmöker selbstredend ein gefundenes Fressen. Doch nun heißt es, voraussichtlich erstmal zwei Jahre zu warten, da Rebecca Gablé mit scheinbar präziser Taktung stets 24 Monate benötigt, um ihre rechercheintensiven Romane reifen zu lassen. Der Erfolg gibt ihr dabei Recht, und so werden sich ihre Fans nach diesem gelungenen Leseerlebnis auch gerne wieder in Geduld üben.
Christoph Mahnel
03.07.2017