Krimis & Thriller

Man fühlt in sich den Mut wachsen

Was genau ist das Buch? Ein Kriminalroman, ein Märchen, ein ganzes Gebäude gar, in dem Menschen und Natur gemeinsam wohnen? Giovanni de la Terra entwirft eine breite Grundlage, auf der seine Figuren agieren, allen voran Kim Linton, englische Privatdetektivin, und Sten Stenuis, ehemaliger schwedischer Pfarrer.

Der Zufall (war es das wirklich oder greift hier das Wort Schicksal nicht besser, Fügung gar?) führt Kim Linton und Sten Stenuis in einer stürmischen Winternacht zueinander. Kim Linton ist gerade dabei zu erfrieren, als Sten Stenuis sie findet und ins Leben zurückbringt. Dass diese Begegnung mehr wird als eine Retter-Story, zeigt sich rasch.

Beide Menschen wollten ein Kloster aufsuchen, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und genau dort kreuzen sich die Wege vieler Menschen mit ganz unterschiedlichen Sorgen, Anliegen, Hoffnungen und Wünschen.

Sten und Kim merken bald, dass sie mehr als eine gemeinsame Wellenlänge verbindet und so ergibt es sich fast zwangsläufig, dass sie gemeinsam die sich ergebenden Aufgaben angehen. Und es sind eine Menge Aufgaben, die sich den beiden nach und nach in den Weg stellen! Immer wieder kreuzen Verbrecher den Weg des ungleichen Paares, müssen sie zupacken und Hilfe leisten, kreisen ihre Gedanken darum, anderen Menschen in Not einen Weg aufzuzeigen.

Dass sie dabei auf ihrem gemeinsamen Weg weiter voranschreiten, fällt manchmal bei all den Ereignissen gar nicht auf, und doch wird das Band zwischen Sten und Kim immer fester, stabiler, es umschließt sie beide wie ein Zaubermantel, der wärmt, schützt und behütet.

Sten lädt einige Menschen mit Sorgen und Nöten ein, zu ihm nach Schweden zu ziehen – darunter Per, dessen Lebenspartner an Aids gestorben ist, Bettina, eine junge Bratischistin, die wieder Vertrauen in die Welt gewinnen muss, ein Kleinkind, das in einer Tasche vor Stens Wohnmobil von einer verzweifelten Mutter abgegeben wurde – es ist eine bunte Welt, die sich im schwedischen Wald in einem kleinen Paradies trifft.

Stens Kate ist ein Haus, das durch Wasser- und Windkraft seine Energie erhält, ein Platz Eden mitten im Wald, in dem Pflanzen aller Klimazonen wachsen dank überlegter Anbautechnik, in dem ein Schwimmbad ökologisch beheizt und mit sauberstem Quellwasser versorgt werden kann, ein Ort, an dem verletzte Seelen gesunden können durch die Ruhe der Natur, den anteilnehmenden, aber dennoch stets genug Freiraum lassenden Kontakt zu den Mitbewohnern und ein Platz, von dem Kraft ausströmt.

Diese Kraft wird von den Katenbewohnern nicht nur dazu genutzt, selbst wieder stabil im Leben zu stehen, sondern als Katalysator genommen, um auch anderen Menschen zu helfen – wie ein Stein, der in einen ruhigen See fällt, lange Zeit Kreise zieht, zieht Sten Stenius seine Kreise, heilsam, ruhig, sicher und immer das Wohlergehen von Mensch, Tier und Natur im Blick.

Tief berührend ist das Buch an all den Stellen, an denen sich der Autor Gedanken um Mensch, Tier und Natur macht. Respekt vor der Schöpfung, Achtung und als Grundlage allen Seins die tiefe Liebe, die schenkt und nicht gierig empfangen will – de la Terra zaubert hier eine Welt, in der Krankheiten, Tod, Hass, Verbrechen, Gier, Mord und Totschlag nicht außen vor bleiben, sondern durchaus dazu gehören (das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass Kim Detektivin ist und Stens Freunde Polizisten), aber immer der Blick auf das ganze System gerichtet bleibt – der einzelne Verbrecher wird nicht einfach verurteilt, sondern der Autor zeigt Entwicklungsmöglichkeiten auf. Das gelingt ihm ohne jegliches Moralisieren, ohne kluge Belehrungen, ohne Bestimmen und Mitregieren in anderer Menschen Leben.

Der Autor schreibt mit Liebe zu den Menschen, vor allem auch zu den Tieren und der Natur, doch nicht im Eremitenton, der den Leser staunend vor einem entsagungsgeübten Ökofreak erschauern lässt, gar mit weltverbesserndem Tonfall, der klar macht, dass man selbst es niemals schaffen wird, ein Mensch zu werden, der nicht nur an der Natur schmarotzt, andere Menschen für seine Machtspielchen missbraucht oder gedankenlos durch die Welt genießt. Im Gegenteil - Giovanni de la Torre hat leise Töne angeschlagen in seinem Buch. Es sind die sensiblen Stellen, die er betrachtet. Es ist das Tollen der Hunde, das Jauchzen eines begeisterten Kindes, das Glück, das entsteht, wenn zwei Menschen sich anblicken und wissen, dass das wahre Liebe ist. Nicht weltfremd in idealistischen Sphären, sondern greifbar im Leben, das immer auch die dunkle Seite, das Verbrechen, die falschen Hoffnungen und Irrtümer beinhaltet.

Es sind viele Szenen, die den Leser berühren und ihn zurückbringen zu dem, was Menschsein heißt – Anteilnahme, Zuhören können (wie schön, das Wort "lauschen" mehrfach zu finden, wer kann denn heute noch "lauschen", was Konzentration erfordert und das Zurücknehmen der eigenen Person!), bereit sein, zu begleiten, Leid und Kummer mit zu tragen, Sorge zu übernehmen. Manche Bücher schaffen es, dass für einen Moment die ganzen Probleme der Welt nicht so dunkel und niederdrückend erscheinen, man in sich den Mut wachsen fühlt, diese Welt so zu nehmen, wie sie ist, aber sie keinesfalls so zurück lassen zu wollen. Das Buch von Giovanni de la Torre gehört dazu. Ein bisschen haftet dem Buch zum Glück auch das Träumen an – ohne Träume, Wünsche, Ideen keine Umsetzung, kein Arbeiten an einer besseren Welt. Die Träume der Figuren im Buch finden manchmal eine Umsetzung ins richtige Leben und wirken so wie Signale im Nebel für all die Suchenden, die zwar gute Wünsche haben, aber keinen Mut, sie umzusetzen.

Ein Buch für die Stunden, in denen man sich wieder einmal mit den Werten auseinander setzen möchte, die das Menschsein tragen. Leise Töne, stille Gedanken, wahre Worte, verwoben in eine Liebesgeschichte, die eigentlich mehr ist als eine Beziehungserzählung, es ist die Liebe zur ganzen Welt, um die es Giovanni de la Torre geht.

csc
06.01.2002

 
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Das Buch:

Giovanni de la Terra: Solamen Miseris. Edition Mereau

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Egelsbach, Frankfurt/M.: Fouqué Literaturverlag 2002
236 S.
ISBN: 3-8267-4948-0

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