Krimis & Thriller

Der alte Mann und das Mädchen

Fortuna hat Ante Valdemar Roos etwas beschert, das wohl der Traum vieler Menschen sein dürfte: Ein Toto-Gewinn gibt dem 59-Jährigen die Möglichkeit, aus der festgefahrenen Tristesse von Beruf und Familie auszusteigen und ein paralleles und zweites Leben zu beginnen. Herr Roos kauft sich eine alte Kate im Wald, fährt von Montag bis Freitag jeden Morgen dorthin und abends wieder nach Hause, um seine Frau und deren beide Töchter glauben zu lassen, dass sich nichts geändert habe. Leider wird dieser neue Lebensplan schon nach kurzer Zeit über den Haufen geworfen: Die 21-jährige Anna Gombowska flieht aus einem Heim für soziale Reintegration und findet Unterschlupf in Herrn Roos´ Kate. Zwar arrangieren sich die beiden schon sehr bald und sehr gut miteinander, doch als wenig später eine Leiche vor der Kate liegt, ist es vorbei mit der unbeschwerten Herrlichkeit der beiden.

Mit "Das zweite Leben des Herrn Roos" schickt Håkan Nesser Inspektor Gunnar Barbarotti in seinen mittlerweile dritten Fall, womit der literarische Nachfolger van Veeterens so langsam an Gestalt gewinnt und dem Leser ans Herz wächst. Dabei beginnt das vorliegende Buch für Barbarotti sehr schmerzhaft, schließlich liegt er gerade im Krankenhaus, in das er eingeliefert wurde, nachdem er vom Dach seines neuen Hauses gestürzt war und sich das Bein gebrochen hatte. Nesser verfährt wie schon in Barbarottis Debüt "Mensch ohne Hund" nach einem sehr besonderen Schema: Ungefähr die erste Hälfte des Buches wird darauf verwendet, die eigentliche Geschichte zu erzählen. Bis dahin treten Barbarotti und seine Kollegen überhaupt nicht in Erscheinung. Natürlich endet dieser Teil mit einem Cliffhanger, der den Leser in Wallung bringt, alldieweil Nesser sich anschließend erstmal genüsslich Zeit nimmt, um von den neuesten Entwicklungen im Privatleben Barbarottis zu berichten. Diese Temposteuerung beherrscht Nesser meisterlich und versieht seine Bücher so mit einem unverkennbaren Anstrich.

Die Subtilität Nessers ist einzigartig und lässt ihn selbst aus der hohen qualitativen Breite schwedischer Autoren herausragen. Nesser kreiert keine absonderlichen und übertriebenen Szenarien, sondern lässt einfach die Tristesse des Alltags und der Normalität in ein Schreckensszenario münden. Darüber hinaus ist Håkan Nesser ein literarisches Chamäleon: Je nachdem, in welchem Handlungsstrang die Geschichte sich gerade befindet, wählt er seine Sprache so, dass eine für den jeweiligen Handlungsstrang spezifische Atmosphäre geschaffen wird.

Nesser schafft es, im vorliegenden Buch auf über 500 Seiten eine immense Sogkraft auf den Leser zu entwickeln, der sich dieser nicht widersetzen kann und einfach immer weiterlesen muss. Gepaart mit höchstem literarischem Niveau ist es der gelungene Mix an philosophischen, ironischen und spannungsgeladenen Elementen, mit denen Nesser zu fesseln weiß. Doch zugleich eröffnet er mit psychologischem Feingefühl dem Leser einen Zugang in das Innere seines Protagonisten, was den Leser ob Herrn Roos’ Schicksals bisweilen sogar zu Tränen rühren mag. Es bleibt zu wünschen, dass Håkan Nesser seine Barbarotti-Reihe über die ursprünglich geplanten vier Romane hinaus fortführen wird.

Christoph Mahnel
21.09.2009

 
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Das Buch:

Håkan Nesser: Das zweite Leben des Herrn Roos - Ein Fall für Inspektor Barbarotti. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt

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München: btb Verlag 2009
528 S., € 21,95
ISBN: 978-3-442-75172-3

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