Krimis & Thriller

Der Nächste bitte!

Mit "Das Mädchen seiner Träume" hat Donna Leon dieser Tage ihren siebzehnten Roman um Commissario Guido Brunetti veröffentlicht. Man kann sich mittlerweile fast schon den Wecker stellen, um rechtzeitig an das Erscheinen des neuesten Falles mit dem liebenswerten Venezianer erinnert zu werden. Dies soll keinesfalls abwertend klingen, schließlich sind die Abenteuer Brunettis mehr ob ihrer immer wiederkehrenden und vom Leser liebgewonnenen Eigenarten lesenswert als ob des eigentlich behandelten Falles. Jeder Brunetti-Roman ist ein Abstecher in die Lagunenstadt, bei dem der Leser Exkurse erhält über die italienische Küche, die bevorzugten Literaten seiner Frau Paola und den Sumpf aus Korruption, Seilschaften und Politik, in dem Italien bereits mehr oder weniger hoffnungslos versunken scheint. Dabei versteht sich Donna Leon als eine hervorragende Kritikerin, verpflanzt sie ihre Spitzen doch stets schriftstellerisch geschickt, wie z.B. diejenigen gegenüber der "Lega Nord" in einem Tischgespräch zwischen Brunetti, Paola und ihren beiden Kindern.

Ein Brunetti-Roman behandelt niemals nur einen singulären Kriminalfall, sondern ist immer ein Ausschnitt aus mehreren Tagen und Wochen im Leben des Commissario Guido Brunetti, seiner Questura und der ihn privat und beruflich umgebenden Menschen. Dass unterdessen auch gemordet wird, lässt sich nicht vermeiden; er dient vielmehr dazu, die Gewissensentscheidungen Brunettis herauszustellen, die ihm in seinem tagtäglichen Handeln finale Instanz sind. So nimmt im vorliegenden Buch die Handlung über 130 Seiten Anlauf, um zum eigentlichen Thema zu gelangen:

"Das Mädchen seiner Träume" beginnt sehr düster mit der Beerdigung von Brunettis Mutter und einem Abstecher zum allzu geschäftstüchtigen Personal der katholischen Kirche bzw. kirchennaher Organisationen. Irgendwann treibt dann ein elfjähriges Roma-Mädchen tot in den Kanälen Venedigs. Scheinbar wurde sie auf einem Raubzug überrascht und ist anschließend von einem Dach gestürzt, wofür offensichtlich alle Indizien sprechen, wird bei ihr doch Diebesgut aus einem gutsituierten Haushalt gefunden. Die Untersuchungen in diesem Fall dümpeln ohne besonderen Spannungsbogen vor sich hin, und am Ende ist es wie so oft bei Brunetti: Eine unüberwindbare gesellschaftliche Kluft zwischen Opfer und Tätern lässt eine offizielle Aufklärung des Falles einfach nicht zu, quasi persönlich angeordnet durch keinen geringeren als Brunettis Vorgesetzten, den übermäßig karikierten Vice-Questore Patta. Brunetti und sein Gewissen tragen wie immer schwer daran.

Wer es aus anderen Kriminalromanen gewohnt ist, bei scheinbar beiläufigen Vorfällen oder Begegnungen stets vorgewarnt zu sein, da er einen versteckten Hinweis auf einen möglichen Täter erwartet, der kann bei Donna Leon sicher sein, dass dies garantiert nicht der Fall ist. Ebenso sicher ist auch, dass der vorliegende siebzehnte Roman aus der Lagunenstadt nicht Donna Leons letzter gewesen sein wird. Schließlich kennt die Kriminalliteratur große Vorbilder à la Maigret, woran gemessen Donna Leon noch nicht einmal ein Viertel der Wegstrecke zurückgelegt hat. Georges Simenon hat seinen Pariser Kommissar nämlich in insgesamt 75 Büchern ermitteln lassen.

Um "Das Mädchen seiner Träume" gegenüber seinen sechzehn Vorgängern einzuordnen, lässt sich als faires und diplomatisches Fazit konstatieren, dass es sicherlich bessere Brunetti-Romane gab, aber auch schon schlechtere. Eventuell wäre Donna Leon nicht schlecht beraten, sich vielleicht einmal etwas mehr Zeit als nur ein Jahr zu lassen, um den nächsten Roman auf den Markt zu bringen. Mitunter verhilft eine schöpferische Pause zu einem ungeahnten kreativen Höhenflug. Aber egal wie lange sie auf Numero Achtzehn warten lässt, ihre und Brunettis Fans werden schon sehnsüchtig darauf warten, das Werk kaufen und es in den Bestsellerlisten ganz weit nach oben schnellen lassen.

Christoph Mahnel
15.06.2009

 
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Das Buch:

Donna Leon: Das Mädchen seiner Träume. Commissario Brunettis siebzehnter Fall. Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke

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Zürich: Diogenes Verlag 2009
352 S., € 21,90
ISBN: 978-3-257-06695-1

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