Kinder- & Jugendbücher

Ein Paradies voller Wunder und Trost

Wenn man das neueste Kinderbuch von Angela Nanetti zu lesen beginnt, ist es so, als ob der Blick durch die ersten Seiten eines prall gef?llten Photoalbums gleitet ? bis man erf?hrt, dass dieses Album von Gro?vater bedauerlicherweise vernichtet worden ist, es also gar nicht mehr existiert. Bleibt also nur noch die M?glichkeit, in den alten Bildern der Erinnerung zu schwelgen. Als schlie?lich doch noch ? zu einem Zeitpunkt, da ?berhaupt niemand mehr damit rechnet ? die Photoschnipsel auftauchen, erscheint jeder Versuch einer Rekonstruktion von vorne herein aussichtslos. Nun ergibt es sich, dass an Corinnas erstem Geburtstag ein gro?es Fest unter dem Kirschbaum in Gro?vaters Garten gefeiert wird. Dies bietet reichlich Gelegenheit zu Schnappsch?ssen und zur Einrichtung eines neuen Albums.

Die Grundstruktur dieser Erz?hlung ist einfach und doch extrem spannungsreich: Wie kommt es, dass die am Anfang und am Ende erw?hnten Familienphotos bzw. die durch sie eingefangenen Situationen so frappierend ?hnlich sind? Was ist in der Zwischenzeit geschehen?

"Wenn ich an Gro?vater denke, f?llt mir der Tag ein, an dem er mich gelehrt hat, das Atmen der B?ume zu h?ren." Aus der Sicht und der Gef?hlswelt des jungen Tonino erz?hlt Angela Nanetti, Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendb?cher, von den au?ergew?hnlichen Gro?eltern des Jungen. Sie leben auf dem Lande und er?ffnen ihm mit ihrer unkonventionellen Art "ein Paradies voller Wunder und Trost". Bei Gro?mutter Teodolinda und insbesondere bei Gro?vater Ottaviano findet Tonino viel Zuwendung und Geborgenheit. Dabei lernt er ? jenseits von schulischer Wissensvermittlung, aber auch jenseits der elterlichen Oberfl?chlichkeit ? Dinge, die f?r seinen sp?teren Weg einmal von Bedeutung sein k?nnen, ja sein werden: So vor allem die Offenheit f?r syn?sthetische Naturerfahrungen ? etwa die oben bereits erw?hnte auditive Wahrnehmung, dass auch B?ume atmen k?nnen. Mehr noch, die konsequente Lebensgestaltung im Einklang mit bzw. im Dienste an der Natur ? Gro?vater erscheint es als die nat?rlichste Angelegenheit der Welt, in einer kalten Fr?hlingsnacht ein Feuer unter Felice, dem Kirschbaum, zu entfachen, um dessen Knospen vor dem Erfrieren zu retten. Und schlie?lich die Anerkennung von Leben und Tod als die bestimmenden Momente innerhalb des nat?rlichen Kreislaufs ? selbst dann, als nach dem Tode der ?ber alles geliebten Teodolinda ein Stachel sich tief ins Herz hineinbohrt. Mit anderen Worten: Tonino wird dahin gef?hrt, dass sich ihm die gro?en Zusammenh?nge des Lebens offenbaren, und zwar prim?r in Form von Tr?umen, weil diese zu einer Bewusstseinserweiterung f?hren und so dem Leben einen tieferen Sinn verleihen.

Die Liebe des Jungen zu seinem Gro?vater wird auf eine harte Probe gestellt, als der gef?rchtete Ernstfall des Lebens eintritt: Der alte Mann bedarf nach einem Krankenhausaufenthalt intensiver Pflege, woraufhin der permanente Streit unter den "Stadtmenschen", Toninos Eltern und Gro?eltern v?terlicherseits, tats?chlich noch heftiger tobt ? Zumindest im R?ckblick (der Ich-Erz?hlung) gelingt es dem Jungen, den k?rperlichen wie geistigen Verfall seines gro?en Idols zu verarbeiten. Als hilfreich erweist sich dabei der Umstand, dass die Gro?vater/Enkel-Beziehung "lebendige" Strukturen aufweist und so auch ?ber den Tod hinaus ? auf der gemeinsamen Ebene der Tr?ume und Bilder ? zu bestehen vermag: Ottavianos und Toninos gemeinsame Vergangenheit, ihre fundamentale Beziehung zur Natur lebt weiter, insofern als sie mit Toninos gegenw?rtigem Leben assoziativ verkn?pft wird, ja sogar f?r die Zukunft fruchtbar gemacht wird. Der Junge selbst ist es n?mlich, der nun einen Stachel in sich tr?gt ? und gegen ihn ank?mpft: Er setzt sich gegen einen Richterspruch zur Wehr, welcher die Gemeinde im Zuge der geplanten Stra?enerweiterung dazu bem?chtigt, frei ?ber Gro?vaters Land zu verf?gen. Felices Schicksal h?ngt an einem seidenen Faden ?

Damit aber schlie?t sich ? vorl?ufig zumindest ? der Kreis des Lebens wie der des (thematisch ?u?erst anspruchsvollen) Buches, das mit seiner poetisch ungezwungenen Sprache zarte Kinderseelen (ab 8 Jahren) zu beeindrucken vermag. So wie der Kirschbaum, m?chtiger denn je, als Sinnbild der Harmonie zwischen Gro?vater Ottaviano und Tonino und im weiteren Sinne als Sinnbild des erf?llten, naturverbundenen Lebens w?chst und gedeiht, so findet mit der Geburtstagsfeier f?r Corinna, Toninos kleiner Schwester, die Tradition des Familienalbums eine neue Fortsetzung.

Und der Schlussakkord, er stimmt all jene vers?hnlich, die mit Tonino gelernt haben, dass sich eine Gro?mutter nach ihrem Ableben in eine Gans und ein Gro?vater in einen Kirschbaum verwandeln kann. Denn: "(?) wenn B?ume atmen, warum sollten sie dann nicht auch lachen k?nnen?"

gda
15.12.2002

 
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Das Buch:

Angela Nanetti: Mein Großvater war ein Kirschbaum

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Düsseldorf: Patmos-Verlag 2001
119 S.
ISBN: 3-491-37483-3

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