Kinder- & Jugendbücher

Lehrstück mit Spannung und Unterhaltung

Ein von ihren Eltern nur wenig verstandenes M?dchen, die Ich-Erz?hlerin, sammelt Glasscherben und h?tet diese wie einen Schatz. Sie funkeln smaragdgr?n und tauchen die Welt in ein geheimnisvolles Licht, in dem alles auf den Kopf gestellt erscheint, selbst die Angst. Rainer, ein Junge, der im selben Haus wohnt, ist der Einzige, der Zugang zu dieser Mikrowelt voller Bilder und Tr?ume hat, f?r die es im fest gef?gten Erwachsenenalltag ganz offensichtlich keinen Platz gibt. Er ist denn auch der Einzige, der ihr gegen die unheimliche Kellerkatze beisteht, die Riesenspinne in ihrem Zimmer beseitigt und heimlich mit ihr in das verbotene Rattenhaus geht. Ja, er bringt ihr sogar bei, wie man Spinnen z?hmt. Aus diesen gemeinsamen Erlebnissen entwickelt sich eine ungew?hnliche Freundschaft; das M?dchen bewundert ihn f?r sein einf?hlsames und zugleich mutiges Verhalten und umgekehrt, der von seinen Eltern str?flich vernachl?ssigte Junge sch?tzt sie auf Grund ihres Verhaltens "gegen den Strich", das so gar nicht m?dchenhaft ist. Wenn nun das Ich bei aller Sympathie f?r Rainer dennoch von immer gr??eren Zweifeln geplagt wird, so ist dies weniger auf kindliche Unbest?ndigkeit zur?ckzuf?hren als auf den Druck, den die kleinst?dtische Borniertheit aus?bt. Und so werden am Ende der Geschichte die Zeilen der Ausgangssituation noch einmal aufgegriffen, um sie in wenigen, aber entscheidenden Punkten zu variieren: Es kommt tats?chlich zum Bruch.

Dass in diesem exzellenten Kinderbuch die Spannung zu keinem Zeitpunkt abrei?t, ja der gro?e Spannungsbogen selbst noch ?ber den unvollendeten spekulativen Schlusssatz hinaus anw?chst, liegt in erster Linie an der unkonventionellen Erz?hlweise, in der hier das Thema "Ausgrenzung ? Freundschaft ? Verrat" entfaltet wird. Nicht nur am Ende, immer wieder fordert die Ich-Erz?hlerin den Leser dazu auf, so genannte "Leerstellen" zun?chst einmal selbst aufzuf?llen, etwa selbst zu ?berlegen, wer sich hinter der Kellerkatze verbirgt, die Rainer am R?cken blutige Striemen zugef?gt hat. Umgekehrt: Wird etwas als erz?hlenswert angesehen, so wird es in denkbar knapper und doch eindringlicher Form wiedergegeben ? eben aus der Perspektive des Kindes und in erster Linie der Ich-Erz?hlerin, welche konsequent, bis ins kleinste Detail durchgehalten wird. Der kleinst?dtische Lebenskontext, das allt?gliche Einerlei, die eigene Erfahrungswelt, einfach alles stellt sich als eine m. o. w. rationale Verarbeitung von Prim?rerfahrungen durch die Sprache des Kindes dar, die der Literatursprache weitaus n?her steht als der stark reglementierten, stets pragmatisch ausgerichteten Erwachsenensprache, die eine "Geheimsprache" zu sein scheint. Unz?hlige Vergleiche und Bilder durchziehen den erz?hlenden, an vielen Stellen geradezu poetisch anmutenden Diskurs. Nicht weniger charakteristisch: Das geradezu spielerische Hin- und Hergleiten zwischen verschiedenen Zeit- und Vorstellungsebenen. Und so werden auf assoziativem Weg an sich schon lesenswerte spannungsreiche Momentaufnahmen eingefangen. Aufnahmen, welche kindliche Grunderfahrungen, etwa mit Wasser und Strom, Geburt und Tod wiedergeben, aber auch Einstellungen der Erwachsenen mit einbeziehen und hinterfragen, beispielsweise die Interpretation des biblischen Brudermordes oder die Frage nach der Existenz von Schutzengeln und Bastarden. Dies geschieht auf so kunstvolle Art und Weise, dass vom zentralen Thema der Freundschaft gerade nicht abgelenkt, es vielmehr von allen Seiten eingekreist wird.

Jutta Richters neues Kinderbuch ist ?beraus empfehlenswert f?r Kinder ab neun Jahre ? und allen Erwachsenen, die den Mut aufbringen k?nnen, sich auf das Abenteuer "Kindheit" noch einmal einzulassen.

gda
06.01.2002

 
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Das Buch:

Jutta Richter: Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen

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München, Wien: C. Hanser Verlag 2000
87 S., € 9,90
ISBN: 3-446-19896-2

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