Kinder- & Jugendbücher

Suche nach (verbotener) Liebe im viktorianischen England

Adrian Mayfield, knapp 17 Jahre alt und im Osten Londons aufgewachsen, verliert seine Anstellung bei einem Herrenschneider in Soho. Hilfe kann er weder von seinem alkoholabhängigen Vater - einem erfolglosen Schauspieler - noch von seiner Mutter und seiner Schwester, die sich selbst gerade so durchbringen können, erwarten. Er fängt an, für einen ehemaligen Kunden, den Kunstmaler Augustus Trops, Modell zu sitzen. Doch dabei bleibt es nicht. Adrian entdeckt, dass er homosexuell ist - ein Verbrechen im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Durch Trops gelingt es Adrian, weitere Kontakte in den Künstlerkreisen Londons zu knüpfen und Arbeitgeber zu finden, für die er Modell sitzen kann, u.a. den reichen Maler Vincent Farley, den er bald als guten Freund schätzen lernt. Außerdem erhält der 17-Jährige, mittellos und ungebildet, Zugang zu dem erlesenen Kreis um den gefeierten Schriftsteller Oscar Wilde. Die Treffen im noblen Café Royal werden zu den Höhenpunkten seines traurigen Daseins.

Doch leider währt dieses Glück nicht lange: In den heißen Sommermonate verlassen alle, die es sich leisten können, die Stadt. So auch Adrians Arbeitgeber. Wieder steht er ohne Geld auf der Straße und landet auf der Suche nach schnellem Geld in einem anrüchigen Etablissement in der Little College Street. "Nicht einer der Kerle, die mich mitgenommen hatten, hatte mich nach den Sternen greifen lassen. Ich wollte zurück an die Marmortische des Café Royal, zu den […] wirklich interessanten Leuten. Ich wollte aufgenommen werden in ihren magischen Zirkel, wollte reden, zuhören, lachen, ihre Geheimnisse teilen, meine Hand achtlos auf ihre Schulter legen, meine Zigarette an sie weitergeben, mit ihnen schlafen notfalls. Alles, um wirklich dazuzugehören, einer von ihnen zu sein."

Adrian, der eigentlich nur auf der Suche nach Liebe, Geborgenheit und einem Menschen ist, der für ihn da ist und ihn trotz aller Fehler liebt, wird Teil eines Spiels aus Lüge, Täuschung und Betrug. Auch über seine vermeintlichen Freunde aus der Boheme Londons muss er einiges erfahren, was er besser nie gehört hätte. Er lernt, nach dem Motto "Die Welt will betrogen werden, also betrüge ich sie" zu leben.

Floortje Zwigtman, die in den Niederlanden schon mehrere bedeutende Preise für ihre Jugendbücher erhalten hat, hat mit "Ich, Adrian Mayfield" eine perfekte Mischung aus fiktionalen Charakteren wie Adrian und seinen Kunstfreunden Vincent Farley und Augustus Trops und historischen wie Oscar Wilde, seinem Liebhaber Bosie und dem Rest seiner Entourage geschaffen. Sie porträtiert auf faszinierende Art und Weise die viktorianische Gesellschaft und ihre strikten Regeln und Schranken anhand eines Jungen aus der Unterschicht, der es trotz aller Hürden geschafft hat, sich Zutritt zu höheren Kreisen zu verschaffen. Nicht nur Bildung und Geld waren der Eintritt in höhere Schichten, sondern auch Sprache - jede soziale Gruppe besaß ihren eigenen Sprachcode, der sie von anderen abgrenzte - war verantwortlich für Aufnahme oder Ausschluss aus einer Schicht. Zwigtmans Protagonist Adrian muss erfahren, dass für jemanden, der weder Geld, Bildung noch Talente hatte, Sex der einzige Weg war, die Klassenschranken zu durchbrechen.

Der mit dem belgischen Jugendliteraturpreis "Gouden Uil" und dem niederländischen Literaturpreis "Golden Kiss" ausgezeichnete, historische Roman ist nicht nur Jugendlichen ab 15 Jahren, sondern auch Erwachsenen, die sich für das viktorianische England, Oscar Wilde und das Flair Dicken'scher Romane begeistern können, zu empfehlen.

Sabine Mahnel
18.08.2008

 
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Das Buch:

Floortje Zwigtman: Ich, Adrian Mayfield. Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf

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Hildesheim: Gerstenberg Verlag 2008
512 S., € 16,90
ab 15 Jahren
ISBN: 978-3-8369-5200-2

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