Gedichtbände

Sprachartistik in einem bunten Raum

Qualität umgekehrt proportional zum Buchumfang: Nur knappe 54 Seiten zählt das Werk von Josef Müller und trotzdem sind "Gedanken am PC" eine überaus lesenswerte Sache. Wer allerdings geglaubt hätte, hier wäre der Computer der Anstifter zu dichterischem Tun und die hier ausgebreitete Dichtkunst kreise ausschließlich um den Rechner, den muss man sofort aufklären. "Gedanken am PC" benennt sich nach einem Titelgedicht im Innern, im Übrigen bewegt sich Müller thematisch völlig frei.

Es zieht schon mit dem "Larmoyant" in die verdrehte Welt hinein, sehr gekonnt wie alles, was der Autor in diesem Bändchen vorlegt. Es steckt sehr viel Zeitkritik darin, aber nicht überall. Es gibt auch losgelöste, in sich gerundete Stücke, neben Partien, die hart auf die Gegenwart einhauen wie etwa "Für Knallharte Sanierer", in dem es heißt: "Die ökonomischen Sozialerpresser, Gewinnverseuchten Menschenwertvergesser!" Das sind Anstöße für Leser mit Haltung und Meinung. "Und in vitro ist verlagert Unsere Fertilisation", heißt es, während anderswo vom Krieg die Rede ist. "Ihr Schreckensschreie haltet Ruh", gebietet der Dichter. "Ihr sollt uns nicht mehr stören", wird dem "Stolperstein" gesagt, der an ein großes Morden erinnern will.

Eine weite, bunte Thematik also - und die Sprache ist es genauso. Es ist, als habe Müller verschiedene Sprachformate durchproben wollen. Und es ist ihm auch geglückt, von dieser Vielfalt geht auch eine gewisse Überraschung aus. Wie kann einer, der das frech gesetzte "Poem" dichtet, auch konventionelle Formen pflegen? Deutliches und Überdeutliches findet sich neben Sätzen, die ihre Aussage hinter schwierigen, erst noch zu entschlüsselnden Passagen erspüren lassen. Zu den letztgenannten gehört "Auferstehung", eine recht kühne Interpretation.

Die Fantasie überbordet und sucht ihren übermütigen Witz, und an vielen Stellen mag man ob des artistischen Sprachgebrauchs lange staunen. "Der Globaldenk" gibt sich munter, "Das will ich nicht" sehr ernst. Ein wechselvoller Wortgebrauch in einer wechselvollen Welt. Sehr schön zeigt "Jahrehundertjugend" das Ungewisse und oft Trügerische unserer eigenen Weltschau auf. "Es streichelt die Blume manch fremder Wind, / Wir wissen nicht, wann wir glücklich sind".

Neben purzelnder Fröhlichkeit findet Bedenkenswertes seinen sicheren Platz. Jenseits des Atmens sei kein Heim, liest man, und Endzeitliches hält auch der "November" bereit. Einen sehr schön gelungenen Abschluss bildet das "Wortwörtlich" mit seinem spielerischen Kreisen um Satz und Wort. So lehrt der Autor die Worte sehen. "Gedanken am PC" ist ein eindrückliches Buch, geschaffen für Leute, die langsam lesen und sich dabei bewegen können.

Ronald Roggen 
19.09.2011

 
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Das Buch:

Josef Müller: Gedanken am PC

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Frankfurt am Main: public book media verlag 2011
54 S., € 10,80
ISBN: 978-3-86369-004-5

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