Gedichtbände

Der neue Tolkien verzaubert wie eh und je

Der Name J.R.R. Tolkien ist auf immerdar mit der Fantasy-Trilogie "Der Herr der Ringe" und der fiktiven Welt Mittelerde verbunden. Doch der britische Schriftsteller war nicht nur ein Mann, der als Erzähler von fantastischen Geschichten seine Bestimmung sah, sondern auch ein angesehener Philologe, der den nordischen Sagen äußerst zugetan war. Bereits im Kindesalter hörte er erstmals von Sigurd, der den Drachen Fáfnir tötete und die schlafende Brynhild erweckte - eine Geschichte, die Ähnlichkeiten mit dem Nibelungenlied aufweist, aber ältere Wurzeln hat als dieses. Die Faszination, die Tolkien bei der Lektüre der Volsunga saga einst ergriff, erfasst nun auch den heutigen Leser, wenn er sich "Die Legende von Sigurd und Gudrún" zur Hand nimmt und damit in die nordische Mythologie eintaucht, die äußerst gegenwärtig erscheint.

Sigurd ist der letzte Nachkomme aus dem Heldengeschlecht der Wälsungen, dem sein Schicksal schon seit grauer Vorzeit vorherbestimmt ist. Nach dem Tod seines Vaters Sigmund wächst er bei seinem Stiefvater auf, dem zweiten Ehemann seiner Mutter Königin Hjordís. An dessen Hof wird er von Schmied Regin in allerlei Künsten unterrichtet, der ihm darüber hinaus auch von einem verhängnisvollen Goldhort erzählt. Einst erschlugen die Götter einen Fischotter, der sich späterhin als Otr, einen der Söhne Hreidmars, entpuppte. Um Buße zu tun und ihre Schuld zu begleichen, raubten die Götter das Gold eines Zwerges, darunter einen magischen Ring, der den Schatz vermehren konnte. Doch dieser Ring war verflucht und sollte jedem seiner Besitzer den Tod bringen. Der Fluch erfüllte sich, als Hreidmar von seinen Söhnen ermordet wurde und Fáfnir sich in einen Drachen verwandelte, um so besser auf seinen Besitz Acht geben zu können.

Inzwischen sind viele Jahre ins Land gezogen und Regin, Fáfnirs vertriebener Bruder, sieht in Sigurd die Möglichkeit, um Rache zu nehmen für die Schande und Armut, die er einst erfahren musste. Sigurd gelingt tatsächlich das schwierige Unterfangen und ersticht den Drachen mit seinem Schwert Gramr. Doch neue Gefahr bahnt sich am Horizont an, denn Regin hegt böse Absichten: Er will Sigurd beiseite schaffen und so den Schatz an sich nehmen. Doch dieser ist schneller und erschlägt seinen einstigen Freund. Mit dem Gold will er sich eine Braut kaufen. In der Walküre Brynhild sieht er die Frau, mit der er Kinder haben und alt werden will. Doch um sie zu erobern, muss er in eine von Feuer umgebene Burg eindringen und sie vom ewigen Schlaf befreien. Doch Sigurd ist ein anderes Schicksal mit einer anderen Frau bestimmt. Brynhild ist die Richtige für Gunnar, für den Sigurd sich drei Tage lang ausgibt, bis Brynhild mit ihm den Bund eingeht. Doch als die Wahrheit herauskommt, droht eine Tragödie sondergleichen.

J.R.R. Tolkien ist einer der wenigen Autoren, dem eine Neuerzählung der nordischen Sage "Die Legende von Sigurd und Gudrún" nahezu mühelos gelingt und Lyrik für seine Leser so erfahrbar und spannend macht wie seinen Klassiker "Der Herr der Ringe". Es gibt in diesem Buch zwar kein zweites Mittelerde und keinen zweiten Frodo Beutlin, die einen in ihren Bannkreis ziehen, und trotzdem liest man jede Zeile der zwei Gedichte mit solch einer Intensität, als habe man Angst etwas zu überlesen. Wie schon in seinen Romanen gelingt es dem britischen Schriftsteller auch hier den Leser in eine entrückte Welt und eine vergangene Zeit zu versetzen und mit Hilfe der Verse Liebe und Hass, die größten Gefühle der Welt, zum Leser zu transportieren.#

Kurzum: "Die Legende von Sigurd und Gudrún" ist ein neuerlicher Beweis dafür, dass Tolkien die dunkle Kunst des Fabulierens nahezu meisterlich beherrscht und selbst postum für eine Sensation auf dem Buchmarkt sorgt. Wem sonst außer ihm gelingt solch ein Brückenschlag von nordischer Edda zu moderner Dichtung und begeistert damit ein breites Publikum, dass in den 560 Seiten eine kleine Kostbarkeit aus Worten und tiefen Gefühlen sehen? Wohl niemandem außer dem "Herr der Ringe"- und "Der Hobbit"-Autor J.R.R. Tolkien!

Susann Fleischer
27.09.2010

 
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Das Buch:

Christopher Tolkien (Hg.): J.R.R. Tolkien: Die Legende von Sigurd und Gudrún. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring

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Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2010
560 S., € 24,90
ISBN: 978-3-608-93795-4

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