Gedichtbände
Gesellschafts- und geschichtskritische Zwischenrufe eines Zeitzeugen
Er hält Rückschau - der Autor, der in seinem neuesten Buch die letzten sechzig Jahre wieder auferstehen läßt. Zahlreiches Material hat er dafür zusammengetragen - von Bildern über historische Tatsachen bis zu treffenden Zitaten. Damit gestaltet er in erzieherischer Absicht eine etwas andere Autobiographie: Der erste Teil wird beherrscht von der Darstellung der Kriegserlebnisse des Zwanzigjährigen, die verantwortungsvoll in den dazugehörenden historischen Kontext gebettet werden. Keine Sekunde verliert der Autor sein Ziel, vor der Wiederholung des schauderhaften Kriegs zu warnen und auf die leider heute noch existierenden gesellschaftlichen Mißständnisse mit dem Finger zu zeigen, aus den Augen. Unmißverständlich kommentiert er die von ihm zitierten Texte, damit nur keine falsche Interpretation seiner Einstellung entstehen kann.
Mit Kriegsende gerät Huhn in amerikanische Gefangenschaft, wo er vor seiner Rückkehr nach Deutschland am Lend-Lease-Programm der Amerikaner für die UdSSR mitwirkt. Er lebt in der DDR und führt auch dieses autoritäre Regime einer distanzierten Untersuchung zu. Ebenso versteht er es, die Wiedervereinigung aus einem nichts beschönigenden Blickwinkel zu beurteilen.
Langeweile kommt bei der Lektüre allein aufgrund der Bandbreite literarischer Mittel gewiß nicht auf: Sorgfältig werden geschichtliche Zusammenhänge geschildert, die persönliche Erlebnisse des Autors anschaulich illustrieren, während die in guter alter brechtscher Manier gereimten, liedhaften Gedichte teils reflektive Akzente bilden, teils Pointen setzen, z.B. in "Das Transparent zum 1. Mai" (S. 89/90). Nicht zuletzt sorgen die zeitgenössischen Abbildungen, die jeweils passend die angeführten Berichte unterstreichen, für eindringliche visuelle Reize. Die Vielfältigkeit der Techniken garantiert, daß jeder Leser die Botschaft des Verfassers verstehen wird, sei es durch die eindeutigen Kommentare, durch Zitate oder eben durch die beeindruckenden Fotografien.
Die Bezüge auf Brecht verraten den Autor als Kind der geistigen Beeinflussung durch die DDR, die ihn allerdings keineswegs zum gedankenlosen Mitläufer werden ließ. Viel stärker prägten Gerhard Huhn seine Erlebnisse als junger Mann im Krieg, die ihn nicht zerbrachen, sondern zu einem kritischen Menschen formten. Um das deutlich unter Beweis zu stellen, verfaßte der Autor engagiert diese Aufarbeitung und Rückschau auf ein Leben und (fast) ein Jahrhundert.
dgl
10.06.2002