Gedichtbände

Ein intensiver lyrischer Dialog mit Künstlern und Dichtern

Lyrik ist die böse Stiefschwester unter den Literaturgattungen; oftmals vernachlässigt und von den meisten Lesen viel zu wenig beachtet. Doch bei einem Autor wie Heiner Bastian wird die Dichtkunst aus ihrem Nischendasein hervorgeholt. "Das Gedächtnis des Vergessens" liest man mit solcher Begeisterung, dass man diese Lektüre nach dem letzten Vers wieder von vorne beginnt. Der deutsche tritt hier in die Tradition großer Schriftsteller, macht aber trotzdem sein eigenes Ding daraus. Und eben das macht die 63 Buchseiten und all die Gedichte so einzigartig und zugleich wunderbar. Sich mit allen Sinnen in diesen Genuss zu verlieren, ist damit kaum verwunderlich; vielmehr selbstverständlich und dabei so, so schön!

"In der Nacht werde ich aufschreiben, was ich gesehen / Und wenn meine Reise endet, wird dir mein Schatten wieder begegnen." Heiner Bastians 'Reisen' sind eindringliche lyrische Bilder im Dialog zwischen Wirklichkeit und Imagination. Seine Gedichte führen uns an Orte der griechischen Mythologie, der Literatur, der Kunst der Moderne und Nachkriegsmoderne: Begegnungen mit Motiven von Edvard Munch, Picasso, Edward Hopper, Beuys, Cy Twombly, Francis Bacon und Anselm Kiefer. Gegenwärtig in Heiner Bastians Lyrik ist die Sprachphilosophie Wittgensteins, die Lektüre von Homer und Milton, Ezra Pound und Kavafis. Bastians Lyrik ist eine stete Selbstbefragung und die leidenschaftliche Verteidigung des Unbestimmten, ein Echoraum, in dem das "Ich" seine fremde unwirkliche Spiegelung erfährt.

Belletristik in ihrer schönsten Form - genau das gelingt Heiner Bastian mit jedem seiner Bücher, aber mit "Das Gedächtnis des Vergessens" besonders. Lyrik wird hier auf ein neues Level gehoben. Das hat Seltenheit im Bücherregal. Wie ein Juwel! Und eben das sollte man hüten wie einen wertvollen Schatz. Dass deutsche Autoren es mit den Romantikern (Vertreter einer kulturgeschichtlichen Epoche vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert) durchaus aufnehmen können, das zeigt Bastians Können umso deutlicher. Das raubt einem den Atem; selbst nach wiederholtem Lesen. Dank Bastian wird man plötzlich zu einem leidenschaftlichen Gedichte-Liebhaber. Welcher Schriftsteller kann Ähnliches über seine Arbeit behaupten? Definitiv nur die allerwenigsten!

Lyrik als unvergleichlicher Lektüregenuss? Kein leichtes Unterfangen, aber auch kein unmögliches, wie Heiner Bastian mit seinem Gedichtband "Das Gedächtnis des Vergessens" mehr als eindrucksvoll beweist. Kaum aufgeschlagen, und es ist einem regelrecht schwindelig. Solch einen Effekt haben sonst meist nur Romane. So aber nicht bei Bastian. Er kann jede Art von Literatur schreiben - es ist und bleibt Kunst!

Susann Fleischer 
22.07.2024

 
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Das Buch:

Heiner Bastian: Das Gedächtnis des Vergessens. Gedichte

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Berlin: Insel Verlag 2024 63 S., € 24,00 ISBN: 978-3-458-64473-6

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