Gedichtbände
Ein Lyrikband über das Leben
Wer sind wir? Wer werden wir? Wer - oder was - wollen wir sein? Der Titel von Ralf D. Sobottkas Gedichtband ist bereits Programm. In drei große Themenbereiche gliedert der Autor seine Gedichte: "Aus dem Leben gegriffen"; "Gesellschaft und Politik"; "Natur und Kultur". Sie alle betreffen uns und machen unser Leben, unser Werden und unser Sein aus - gestern genauso wie heute, morgen und übermorgen ... Und wir tun wahrlich gut daran, uns dies zu Herzen zu nehmen, denn: "Heute ist der erste Tag // vom Rest unseres Lebens" und "Morgen kommt der erste Tag // vom Rest unseres Lebens"!
Ja, das Leben ist vergänglich, gerade darum will es umso mehr gelebt werden, aber nicht grau in grau, sondern "im farbigen Bogen"; wir dürfen, ja, wir sollen großzügig und großherzig aus dem Vollen schöpfen:
Vergänglicher Tag
"Die Chancen spiegeln sich
im farbigen Bogen:
Für jeden zu greifen
in den stürmischen Wogen.
So gleitet der Tropfen,
rutscht unaufhaltsam zu Boden.
Der Tag geht zu Ende,
wird von der Geschichte aufgesogen."
Unser (Da-)Sein wird sowohl von guten als auch von bösen Dingen geprägt; wer jedoch glaubt, Gut und Böse seien glasklar zu trennen, der irrt: "Das Gute wirkt in der bösen Tat, // das Böse in der guten naht." Klug, differenziert und scharfsinnig streift der Dichter in einem seiner Gedichte auch das Wesen der viel gepriesenen Demokratie:
"Demokratie lebt von der Worte Kraft.
Die Basis dafür nur die Freiheit schafft!
[...]
Demos und kratein,
so schwer ihr Verein."
Bei der Thematik "Natur" fällt insbesondere das Frühlingsgedicht ins Auge. Wenn der Frühling erwacht, dann erwacht die Natur und mit ihm der Mensch - mit allen seinen Sinnen. Wir brauchen die Natur wie unsere Lungen den Sauerstoff - Natur bedeutet Lebenskraft und Lebensfreude. Frühling bedeutet Neubeginn und Wandel. Sie alle benötigen wir, um nicht "auf der Stelle zu treten", um - im wahrsten Sinne des Wortes - fortzubestehen, uns fortzupflanzen.
Und wie sieht es mit dem Thema "Kultur" aus? - Das Gedicht "Warten auf Weihnachten" macht es uns wieder einmal bewusst: Der "Heilige Abend" ist längst nicht mehr einzig eine christliche Tradition der Gläubigen und Religiösen; Weihnachten ist ein fester Bestandteil der abendländischen Kultur und gar nicht mehr wegzudenken von unserem immer wiederkehrenden Jahresrhythmus! So können es nicht nur die Kinder "alle Jahre wieder" kaum erwarten, dem legendären Knecht Ruprecht im leuchtend roten Mantel einen würdevollen Empfang zu bereiten - natürlich in freudiger Erwartung vieler guter Gaben. "Welch teurer Helfer von Gottes Gebot!"
Stilistisch hervorzuheben in Sobottkas Gedichten ist die rhetorische Figur der Lautmalerei, welcher sich der Dichter wiederholt bedient, wie "Chuuuuuhh..." in "Kapitän und Kurs" oder "Raah, raah" in dem Gedicht "Der Rabe". Nicht minder bedeutsam sind seine Buchstaben-, Sprach- und Wortspiele wie beispielsweise "Baum stumpf" sowie das Paradoxon "GEWISS?-heit prägte die nun zerbrochenen Ziele". Als äußerst eindrücklich erweist sich ferner die Personifikation der "Wahrheit" in "Postfaktisch oder: Das Los der Wahrheit":
"Trotz all der Mühen in all den Zeiten
stets lief die Wahrheit uns voran!
Jetzt läuft sie nackt den Worten hinterher,
als fing die Welt von vorne an!"
Das in dem Wolkengedicht enthaltene Piktogramm erregt schon allein wegen dieser Formgebung die Aufmerksamkeit des Lesers, wohingegen der Inhalt eher lapidar, gar banal erscheint; es ist anzunehmen, dass diese Polarität der Intention des Dichters entspricht.
"Wie ein nasser,
schmutziger
Lappen
hängen die Wolken
zu Boden.
Und die Sonne?
Sie bleibt unseren brennenden Augen verborgen!"
Möge uns trotz trüber Sicht und Schlechtwetterwolken niemals der Blick für die Dichtkunst verborgen bleiben!
Alexandra Eryigit-Klos
08.06.2020