Erzählbände & Kurzprosa
Eine Reise ins Innere der Welt
Es ist ein unbestimmtes, ortloses Land, in das Peter Handkes neue Erz?hlung f?hrt: Nicht jenes ?Land vor unserer Zeit?, von dem M?rchen erz?hlen, sondern ein Land vor dem Winter.
?Kali. Eine Vorwintergeschichte? ?berschreibt der ?sterreichische Schriftsteller die Erz?hlung, in der er eine S?ngerin durch eine befremdliche, gespenstische Welt gleiten und am Ende fast unbemerkt ein kleines Wunder vollbringen l?sst.
Handke erz?hlt dabei in lyrischer Manier, ohne Spannung aufzubauen oder ein dramatisches Sujet zu verfolgen. Man erf?hrt nicht viel von dieser Frau, einer Musikerin, die nach ihrem letzten Konzert im Herbst eine Reise ins Nirgendwo antritt. Es ist eine widerspr?chliche Zeit - nach einem Krieg, gleichzeitig vor einem Krieg. Schlagzeilen verk?nden einen historischen Augenblick: ?Erster Menschheitstag ohne einen Toten! R?ckkehr ins Paradies!? und in der selben Ausgabe ?Das Grauen!?.
Nachtwandlerisch, von einem inneren Zwang geleitet, scheinbar lautlos bewegt sich Handkes Figur in einer Welt, die von Auswanderern, Fl?chtlingen, Bettlern bev?lkert wird. Eine K?nstlerin, die absichtslos durch eine traumartige Landschaft gleitet, dabei geheimen, gleichsam magischen Ritualen und Botschaften folgt und findet, was andere l?ngst schon nicht mehr suchen: Zu Beginn, am Abschied von der B?hne, ist es etwas Unbenanntes, was ein Techniker verloren hat, sp?ter in einem Kn?uel Stoff eine Kontaktlinse ihrer Mutter. Schlie?lich eine Liebe, die sie tief ins Innere eines Salzbergwerks f?hrt, ins Innere der Welt. Am Ende ist es ein vermisstes Kind, das sie wieder zur?ck bringt, zum Erstaunen aller.
Handke l?sst sich Zeit in seiner Erz?hlung. In erratisch schwebenden S?tzen beschreibt Handke eine m?rchenhafte und gleichzeitig apokalyptische Welt, in der Menschen nach geheimen, gleichsam vorbestimmten Befehlen handeln. Er zeichnet die Figuren ebenso schemenhaft, wie Ort und Zeit, und legt programmatisch keine Deutung fest. So nennt er das vermisste Kind ?Andrea? und l?sst offen, ob es ein M?dchen ist oder ein Junge. Auch der Titel ?Kali? bleibt mehrdeutig, er k?nnte f?r das Salzbergwerk stehen, aber auch f?r die hinduistische G?ttin die in Umkehrung des Kultes hier kein Opfer verlangt, sondern einen verloren geglaubten Menschen zur?ckbringt.
Irmgard Schmidmaier
03.02.2007