Erzählbände & Kurzprosa

Die Welt als Schrift

Auf die Frage: Wor?ber handelt dieser Text? - wird ein unvoreingenommener Leser wahrscheinlich antworten: ?ber den Konflikt auf dem Balkan, ?ber die Schrecken des Krieges, die Verbrechen der Regierung, ?ber das Leid unschuldiger Menschen und die Sehnsucht nach Frieden. Diese Antwort ist nicht falsch und doch ist damit die Thematik dieses Buches nur unzureichend umrissen. Was hier vom Autor vorgenommen wird, ist viel komplexer und betrifft ein f?r die Literatur zu allen Zeiten aktuelles Problem: Wie dr?cke ich den Inhalt ad?quat aus? In welche Form mu? diese Botschaft gekleidet sein, damit sie beim Leser auch ankommt? Und ist es ?berhaupt m?glich, den Gehalt eines Werkes und seine gestalterische Ausf?hrung zu einer vollkommenen ?bereinstimmung zu bringen? An diese Fragen kn?pft der anspruchsvolle Text von Bosko Tomasevic an und beantwortet sie mit der Souver?nit?t und K?hnheit, wie sie sonst den besten Schriftst?cken der modernen Literatur eigen sind.

Die Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Medium findet in dieser Erz?hlung auf allen Ebenen statt: Von der Reflexion ?ber den Sinn und die Funktion der Schrift angesichts der brutalen und absurden Wirklichkeit des Krieges bis zu komplexen Sprachstrukturen, bei denen kein referenzieller Bezug mehr vorhanden ist und die nur textintern aufzuschlie?en sind. Gerade die letzteren sind es auch, die die Modernit?t dieses Werkes ausmachen. Ein Text, der nur aus den inneren Beziehungen seiner sprachlichen Glieder lebt, der in sich geschlossen und stimmig ist, kann sich gegen?ber jeder Realit?t behaupten, da er selbst eine eigene autonome Welt bildet. Er braucht die ?u?ere Realit?t nicht nachzuahmen, kann aber durch rein sprachliche Mittel Prozesse in der Erfahrungswirklichkeit ad?quat zum Ausdruck bringen. Aus W?rtern und S?tzen wird eine zur au?ertextuellen Wirklichkeit parallele Welt aufgebaut, welche durch eigene Gesetzm??igkeiten den gleichen Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen vermag.

Dieses k?nstlerische Verfahren bewirkt zweierlei: Zum einen werden ?u?ere Begebenheiten durch eine unkonventionelle sprachliche Gestaltung verfremdet, r?cken in ein anderes Licht und geben neue Nahrung zur Reflexion. Zum anderen l?dt der Text zum Nachdenken ?ber das Wort und die Schrift und ?ber die M?glichkeiten des sprachlichen Ausdrucks ein. Der Leser wird sich des Mediums und der Formmittel v?llig bewu?t, er kann diese beinahe plastisch f?hlen und vor allem darin liegt die gro?e k?nstlerische Leistung dieser Erz?hlung.

avv
12.07.2003

 
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Das Buch:

Bosko Tomasevic: Verspäteter Bericht an eine Akademie

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Innsbruck: Ed. Löwenzahn 2000
133 S.
ISBN: 3-7066-2219-X

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