Erzählbände & Kurzprosa
Verzagen ist keine Option
Arbeitslosigkeit, ein Leben am Existenzminimum, die Aufarbeitung der Vergangenheit: Im Zentrum von Gabriele Bönischs Kurzgeschichten stehen weibliche Personen, die an Wendepunkten in ihrem Leben angekommen sind und deren Schicksal häufig der Zufall entscheidet. Entmutigen lässt sich trotz schwieriger Situationen keine der Protagonistinnen. Mal ist es ein kleines Mädchen, dessen Eltern getrennt leben, mal eine ältere Frau, die eine neue Arbeit findet und sich gegenüber den jüngeren Kollegen behaupten muss. So unterschiedlich die Charaktere, so unterschiedlich sind auch die Geschichten.
Die erste Geschichte ist die einer alleinerziehenden Mutter und ihrer fünfjährigen Tochter, die zusammen aus der DDR nach West-Berlin in eine ungewisse Zukunft fliehen. Im Westen angekommen ahnt die Tochter, dass die Zeit ihrer Kindheit, die Zeit der Sicherheit und Geborgenheit vorüber ist. In einer anderen Erzählung schenkt eine alleinstehende Frau, die selbst nicht viel besitzt, an einem bitterkalten Weihnachtstag einem frierenden, kranken Jungen ihren dicken Schal. Eine Tat, die sie ihr persönliches Leben in einem anderen Licht sehen lässt. In einer weiteren Erzählung plant eine Frau schon ihr halbes Leben lang eine Reise in den Kaukasus, die Heimat ihres verstorbenen Stiefvaters, um ihm dort nahe zu sein. Doch als der Zeitpunkt der Reise gekommen ist, beginnt sie an dessen Sinn zu zweifeln. Kurzerhand ändert sie ihre Pläne und verbringt ihren Urlaub zu Hause, wo sie durch Zufall auf ihren Halbbruder trifft.
Gabriele Bönischs Erzählband "Schlafen im Kartoffelsack" rühren an. Dass für sie Geschichten schreiben kein Neuland ist, merkt man sofort. Sie führt uns von kältesten Wintern zu heißen Sommertagen und wieder zurück. Wir können ihr dabei mit Leichtigkeit folgen und miterleben, wie die weiblichen Hauptfiguren ihre Krisen lösen. Oft mit Hilfe von Zuversicht, manchmal mit Beteiligung des Zufalls oder einer Psychotherapie. Gabriele Bönisch versteht es, den Leser zu fesseln, kurze Ausführungen reichen ihr dazu aus. Insgesamt sind es nur 77 Seiten, auf denen die sechs Kurzgeschichten Platz finden. Und doch sind die Erzählungen so intensiv, dass sie den Leser schon nach wenigen Worten mitreißen.
Jennifer Mettenborg
20.12.2010