Erzählbände & Kurzprosa

Ein würdiger Abschluss

In den vergangenen beiden Jahren hat der Diogenes Verlag Georges Simenons Paradefigur, dem Kommissar Jules Maigret, zu einer wahren Renaissance im deutschsprachigen Raum verholfen: Nach der sukzessiven Veröffentlichung aller 75 Maigret-Romane über anderthalb Jahre hinweg und der gleichzeitigen Vertonung einzelner Romane als Hörbuch-Lesungen ist nun ein Sammelband sämtlicher Kurzgeschichten mit dem Pariser Kommissar erscheinen - quasi um das zentrale Element des Lebenswerks Simenons würdig abzuschließen. Neben Maigret hat der Belgier auch eine nicht unerhebliche Anzahl an Non-Maigret-Romanen geschrieben, die für seine Berühmtheit allerdings einen eher unbedeutenden Anteil beigesteuert haben.

Auf über 1000 Seiten werden die 28 Kurzgeschichten in chronologischer Reihenfolge ihrer Entstehung zwischen 1936 und 1950 präsentiert. Die einzelnen Geschichten variieren deutlich in ihrem Umfang: Während die beiden kürzesten gerade einmal 14 Seiten umfassen, bildet "Weihnachten mit Maigret" als umfangreichste Kurzgeschichte mit knapp 90 Seiten den Abschluss des vorliegenden Werkes. Letztere wurde bereits vor geraumer Zeit als Hörbuch im Diogenes Verlag veröffentlicht, ebenso wie fünf weitere ausgewählte Kurzgeschichten in "Fünf Fälle für Maigret", die dem geneigten Hörer bereits im vergangenen Herbst als Lesung präsentiert worden waren.

Dem Maigret-Kenner bleibt natürlich nicht verborgen, dass die Kurzgeschichten gegenüber den Maigret-Romanen einen erheblichen Nachteil haben: Sie bieten den Methoden des brillianten Kommissars nicht den gewohnten Raum, den Maigret ansonsten zur Verfügung hat, um die Täter in einer Zeit zu überführen, in denen noch keine DNA-Analyseergebnisse oder Handydaten zur Lösung des Falles hinzugezogen werden konnten. Vorrangig sind es sein feines Gespür und seine Hartnäckigkeit, unter der die Täter letztlich einknicken und durch die Maigret sie ihrer Taten überführen kann. Höchst erstaunlich ist es daher, dass Simenon es schafft, Maigret diese Hartnäckigkeit sogar auf gerade einmal 14 Seiten erfolgreich anwenden zu lassen; so geschehen in "Die Todesstrafe", als er sich kompromisslos an die Fersen des jungen und schnöseligen Jehan d´Oulmont heftet und ihn zu einer beabsichtigten Affekthandlung verleitet. "Die Todesstrafe" ist neben einer weiteren Kurzgeschichte übrigens eine deutsche Erstveröffentlichung!

Die 28 Kurzgeschichten lassen sich vom gierigen Leser problemlos in einem Rutsch verschlingen, da der Sammelband trotz seines Volumens doch recht handlich daherkommt. Man kann die Geschichten aber auch dosiert genießen, indem man sich z. B. ein Limit von einer Geschichte am Abend setzt, um sich somit einen ganzen Monat lang von Simenon und Maigret faszinieren zu lassen. Letzteres ist durchaus angebracht, da jede Kurzgeschichte zu Beginn eine gewisse Unvoreingenommenheit voraussetzt. Schließlich springt der Leser in ein Szenario hinein, das nicht durch ausführliche Beschreibungen ausgebreitet wird. Stattdessen muss sich der Leser anhand weniger Hinweise ein Bild von der Situation machen, wobei der vorherige Konsum einer anderen Geschichte eventuell störend wirken könnte.

Das vorliegende Buch liefert am Ende mit einem achtseitigen und höchst detaillierten Nachweis eine wichtige Informationsquelle für alle Maigret-Experten. Dort finden sich unter anderem Informationen darüber, wann und wo Simenon die jeweilige Geschichte geschrieben hat, wo sie zuerst veröffentlicht worden ist und auch durch wen die vorliegende Version ins Deutsche übersetzt worden ist. Der Sammelband ist im hochwertigen roten Leinen gebunden und mit einem roten Lesebändchen versehen. Zusätzlich wird das Buch in einem Pappschuber geliefert, auf dem zwei Maigret-Szenarien abgebildet sind. Die schlichten roten Lettern mit dem Namen des Kommissars auf dem schwarzen Grund des Schuberrückens machen dieses Kompendium Simenon´scher Schaffenskunst letztlich zu einem gern gesehenen Gast in jeder Bibliothek. Wer seinesgleichen suchende Miniaturen der Weltliteratur genießen und zugleich seiner privaten Büchersammlung etwas Gutes tun möchte, der versehe sie einfach mit diesem Werk, das in den kommenden Jahren gewiss den Status eines Standardwerks der Kriminalliteratur erhalten wird.

Christoph Mahnel
12.04.2010

 
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Das Buch:

Georges Simenon: Sämtliche Maigret-Geschichten. Aus dem Französischen von Ingrid Altrichter

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Zürich: Diogenes Verlag 2009
1072 S., € 29,90
ISBN: 978-3-257-06682-1

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