Erzählbände & Kurzprosa
Ein kleiner Elch auf großer Fahrt
Erik ist ein Elch. Genauer gesagt: Er ist ein 54,8 Zentimeter großer Zweibeinelch aus dem norwegischen Elchdorf Elgby. Er spricht fließend deutsch und Rentiere sind ihm ein großer Dorn im Auge. Schon sein ganzes Leben lang wohnt Erik weit oben im kalten Norden und es wird endlich einmal Zeit, andere Orte kennenzulernen. So verlässt er mir nichts dir nichts seine Heimat Richtung Deutschland. Dort sollte es doch ein Leichtes sein, auf einem Weihnachtsmarkt einen lukrativen Job zu ergattern. Denn schließlich braucht auch ein Elch Geld, um über die Runden zu kommen.
Erik lebt nun schon seit einiger Zeit in Deutschland, aber so glücklich wie am Anfang ist er längst nicht mehr. Er sitzt ganz traurig auf den Stufen einer Kirche, als der namenlose Ich-Erzähler den armen Zweibeinelch entdeckt. Er hat so viel Mitleid mit dem armen Zweibeinelch, dass er ihn kurzentschlossen mit zu sich nach Hause nimmt und ihm so ein Dach über dem Kopf gibt. Dort lebt Erik wie daheim in Norwegen: Er geht täglich zur Arbeit, liebt Online-Shopping, tauscht sich mit den Freunden aus und hört seine Lieblingsband "The Shaking Antlers". Und doch kommt immer wieder das Trauma seiner ersten Zeit in Deutschland hoch. Nach und nach erfährt der Ich-Erzähler, was tatsächlich geschah, als Erik in Deutschland ankam.
Als Erik nach einer mehrstündigen Seefahrt von Elgby in Kiel ankommt, erfährt er, dass es vorerst nichts mit einem Job auf dem Weihnachtsmarkt wird. Es ist nämlich Sommer und Weihnachten ist schließlich erst im Dezember. Er muss sich also einen anderen Job suchen. Und so landet Erik beim Italiener als Tellerwäscher. Aber noch hat er den Traum von einer Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt nicht aufgegeben. Und wenige Monate später ist endlich seine Stunde gekommen: Er soll in einem Kaufhaus auf dem Weihnachtsbasar arbeiten. Aber das Glück ist ihm nicht lange hold: Er wird gefeuert, weil er angeblich dauernd zu spät zur Arbeit kommt. Aber ohne Arbeit kein Geld und ohne Geld keine Wohnung. Erik wird obdachlos und schlägt sich durch den rauen Winter, bis er schließlich seinem Lebensretter begegnet und eine zweite Chance in Deutschland erhält.
Jens Höhners "Erik Elch. Rentiere sind doof!" ist ein außergewöhnliches, amüsantes und unterhaltsames Buch, dessen Titelheld, der kleine Zweibeinelch Erik, sich gar nicht so sehr von den Menschen unterscheidet: Auf Handy und Computer mag er nicht verzichten, in der kalten Jahreszeit ist eine warme, gemütliche Wohnung äußerst vorteilhaft und sobald er eine Kreditkarte zu fassen bekommt, ist Erik nicht mehr aufzuhalten. Gerade diese erstaunlichen Parallelen zwischen Elch und Mensch machen Erik zu einem äußerst sympathischen Zeitgenossen, der einem Archetyp zwischen Kind und Erwachsenem ähnelt. Einerseits ist Erik so dickköpfig, rebellisch und eigensinnig wie ein Teenie von 16 Jahren, andererseits aber so vernünftig, überlegt und strebsam wie ein Erwachsener von 50 Jahren. So vereint Erik Elch die Generationen und lässt sie gemeinsam an einem tollen Abenteuer teilhaben.
Diese reizvolle Dualität zwischen Kindheit und Erwachsensein spiegeln Dagmar Gosejacobs Bleistiftillustrationen eindrucksvoll wider. Wenn man Erik mit Kopfhörern auf dem Kopf durch das Zimmer rocken sieht, erinnert dies an einen ausgeflippten Fan auf einem Konzert. Traurigkeit hingegen macht sich breit, wenn man Erik verzweifelt auf den Kirchenstufen sitzend beobachtet. Gosejacob hat in ihren Illustrationen Stimmungen und Gefühle eingefangen, die berühren, aber auch schmunzeln lassen. "Erik Elch" ist Unterhaltung pur, für jeden, der mal etwas anderes lesen möchte als Liebesschnulzen, große Dramen oder pure Action. Und falls man nach den knapp 190 Seiten immer noch nicht genug von unserem tierischen Freund haben sollte, kann man auf www.erik-elch.de noch viel mehr über ihn erfahren.
Susann Fleischer
14.12.2009