Erzählbände & Kurzprosa
Gewesenes nicht gewesen
Schon vor 1989 wollten einige Ostdeutsche Westdeutsche werden. Und konnten das dann nicht. Einer von ihnen war der Dichter Wolfgang Hilbig. Über ihn schreibt auch Christoph Dieckmann und hat den Text in sein Buch "Mich wundert, daß ich fröhlich bin" aufgenommen. Mit gewisser Genugtuung zitiert Dieckmann den Hilbig, der sagte, dass die DDR eine andere Nation geworden war. Da sind sich zwei einig. Ohne Schadenfreude. Und nicht nur sie.
Der Autor Christoph Dieckmann schreibt seit Jahrzehnten von der anderen Nation, über die andere Nation. Seit fast zwei Jahrzehnten schreibt er als "ZEIT-Autor", was immer das sagt. Wer die Texte von Christoph Dieckmann liest, liest immer die Texte des Autors Christoph Dieckmann. Und vor allem deshalb wird er gelesen. Und so kommen die Leser mehr und mehr hinein in das Leben des Autors, in das Leben der anderen deutschen Nation. Was nicht bedeutet, dass Dieckmann ein rückwärtsgewandter Autor ist. Was nicht mal dadurch bekräftigt wird, dass er darauf bestand, sein neues Buch "in alter deutscher Rechtschreibung" zu publizieren. Auch das ist kein beliebiges Bekenntnis. Das ist die Entscheidung eines Menschen, dem Gewesenes nicht Gewesenes ist. In "Mich wundert, daß ich fröhlich bin" denkt er fortgesetzt über die Gegenwärtigkeit des Gewesenen nach, also über das bleibend Sinnfällige und Sinngebende. So garantiert ein Schreiber die Substanz seiner Sätze. Und die sind was für Leser aller Himmelsrichtungen, die dadurch angelockt werden, dass unter dem Titel "Eine Deutschlandreise" notiert ist.
Der Deutschland-Trip ist immer eine Reise mit dem reisenden Christoph Dieckmann. Der weiß, dass alles immer auch Autobiographie ist. Also kommt wieder der FC Carl Zeiss Jena zur Sprache wie auch eine Reihe der verblichenen großen DDR-Rock-Pop-Musiker und ihrer großartigen Titel. Deren Geschichten vertritt Dieckmann mit einer nicht nachlassenden Vehemenz, weil es für ihn Geschichten der deutschen Musikgeschichte sind. Nicht belanglos. Nicht bedeutungslos. Die Musikverliebtheit ist Teil des ganzen Dieckmann. Man muss ihm nicht in allem folgen, muss ihn nicht in allem verstehen. Immer ist die Stimmung spürbar, die für Menschen und Musik interessiert. Immer ist der Publizist darauf aus, Geschichte als Geschichte von Menschen zu erzählen. Unterhaltsam und sachlich. Nicht als eitler Erzähler. Als ruhig reisender Reporter, nimmt er sich Zeit für Zeitgeschichte. "Du schwebst... Andere müssen laufen", lässt sich Dieckmann nachsagen und zitiert das mit seinem nie verhohlenen Sinn für öffentliche Selbstdarstellung. Nur wenige Publizisten können so gut Ich sagen, wie Christoph Dieckmann Ich sagt. Weil er sich ungeschminkt zeigen kann, kann er auch das Schöne des Ungeschminkten zeigen, das er in jedem Gegenüber und allerorts wahrnimmt. Der Autor kennt seine Privilegien und eignet sie sich nicht als Privileg an. So bleibt der Reporter, als den er sich bezeichnet, mitten im Geschehen, von dem er mit seinem persönlichen Denken, Sehen, Fühlen, Meinen berichtet. So werden seine Texte zu einer selbstverständlichen Dokumentarliteratur. Nicht Dokument, nicht Literatur ist sie doch literarische Dokumentation.
Mit Dieckmann reisen die Leser durch ein Deutschland mit zwei Nationen. In dem wollen Ostdeutsche nicht Westdeutsche, Westdeutsche nicht Ostdeutsche werden. Das hat auch seinen Wert. Den muss man nur sehen. Den muss man als Wert nutzen. Das tut Christoph Dieckmann. Das macht seine Texte wesentlich und wichtig für Deutschland, das er mit festen Schritten durchschreitet. Immer etwas fester auf dem heimatlich-ostdeutschen Boden. Ja, bitte, warum nicht?! "Ich empfinde die Wende immer noch als Segen", sagt Dieckmann etwas schlicht, aber eindeutig. Also, warum sich wundern, dass der Autor fröhlich ist?
Bernd Heimberger
12.10.2009