Erzählbände & Kurzprosa

Stefan Wimmer - Der König von Mexiko

"Da waren Kurzgeschichten abgedruckt von Hunter S. Thompson, Jörg Fauser und Charles Bukowski- alles Leute von denen man in puncto Sarkasmus, Coolness und Rasanz einiges lernen konnte."Dieser Satz ist nicht nur aus dem Buch Stefan Wimmers entnommen, er offenbart auch seine Anknüpfungspunkte an den New Journalism und seine Traditionslinien zwischen deutscher und amerikanischer hard-boiled Unterhaltungsliteratur, die sich aber trotzdem keinen Deut um so etwas schert. Prost möchte man sagen, angesichts des gelungenen Romandebüts. Allerdings besser doch kein deutschtümelndes, bierseeliges Prost, sondern jenes langgezogene Ayayay! mit der charakteristischen Mischung aus Schmerz und Lust, was in den Cantinas Mexikos zu Hause ist.Beeindruckend die Prägnanz, mit der erzählt wird, die Pointen passen wie die Faust aufs Auge, schlagen dort ein, wo sie hingehören. Bukowski in seinen besten Geschichten könnte es nicht besser machen, auch die Erzählungen von ganz Unten und das Lob des Alkoholismus, welches hier gesungen wird, sollten dem Buch einige verdiente Leser bescheren. Nebenbei ein zwar fiktionaler, aber deshalb vielleicht umso authentischerer Blick hinter die Surrealismen mexikanischer Kultur: Philosophieprofessoren, die sich in den Mystizismus Heideggers kleiden wie in ein Priestergewand, was angesichts der sozialen Situation grotesk erscheint, die tägliche Flucht der Büroangestellten in die Cantina, Taxifahrer und Buschauffeure, die von allen Geistern verlassen, die Unfallstatistiken in die Höhe treiben. Facetten der mexikanischen Masken oder des "Mexico Profundo" wie es einige Autoren nannten.

Ein Doktorand auf Abwegen - Journalismus und Literatur

Der deutsche Stipendiat Ingo W. Falkenhorst ist ein Abtrünniger, seiner selbst gelegentlich überdrüssig auf verbotenen Pfaden des Kokains unterwegs, verwickelt sich in Abenteuer und in eine Liebschaft mit Tenderly - jene unbescheidene Angehörige der mexikanischen luxusverwöhnten Upperclass, die jedoch wie alles in diesem Text Episode bleibt. Auch die Geschichte, in der er versucht, die Frauenmorde von Ciudad de Juarez aufzuklären, gerät noch zum amüsant kurzweiligen Trip der Selbststilisierung und karikiert den reißerischen Enthüllungsjournalismus. Am Horizont steht etwas Unverstelltes, ein Autor, der die Wahrheit sagt, bittere Ehrlichkeit, angesichts einer Welt des Scheins, in die Falkenhorst spätestens mit seiner Rückkehr nach Deutschland und seiner Mitarbeit im Lifestylemagazin eintritt – eines, das die Bezeichnung Busenmagazin oder Schmierblatt nicht mehr verdient. Linke Melancholie, die Benjamin Kästner vorwarf, könnte man auch Wimmer vorwerfen. Ein selbsterklärter Alkoholiker, der misanthropisch und ohne höhere humanistische Ziele auf der Seite der Entrechteten steht. Seine an Machismus grenzende, überbordende Männlichkeit weist in diese Richtung - Resignation eines auf sich allein Gestellten, die ins Groteske verzerrt wird, wäre da nicht sein intelligenter Witz und die schnelle aber hoch exakte, an gutem Journalismus geschulte Schreibe.Den Autor selbst, werden solche Dinge jedoch hoffentlich nicht interessieren, und so kann man vor Allem zu diesem Buch dann raten, wenn man vor sprachkritischer, verkopfter Literatur deutscher und österreichischer Machart nicht mehr aus den gequälten Leseaugen schauen kann.

Unterhaltung und Bildung ohne Knoten im Denken

Wer intelligente Intertextualität versteht, gern auf "poetry slams" geht und dort vor allem die gelungenen Texte mag, wird mit diesem Buch über die Maßen gut bedient sein. Nebenbei gibt’s fiktionale Einblicke in eine fremde Kultur, weit jenseits von wissenschaftlicher Perspektive, der aber doch einiges bisher Unbeobachtetes ins Auge fällt, was zwar zwischen Stereotyp und Wahrheit gleich heißer Luft flirrt, vor allem jedoch durch die Perspektive von Unten entschleiernd wirken kann. Und den Schleier der Maya in wenigen Worten zu lüften, das gelingt einem Bukowski, einem Hemingway und auch einem Stefan Wimmer, respektive seinem W. Falkenhorst Alter Ego - dessen W. vielleicht doch den berühmten Hasstiraden am Wiesengrunde deutscher Theorietraditionen zu verdanken ist, als der Wimmerschen Majuskel.

Siegfried Schuster
13.05.2008 

 
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Das Buch:

Stefan Wimmer: Der König von Mexiko

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Berlin: Eichborn 2008
313 S., € 19,95
ISBN 978-38218-5834-0

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