Erzählbände & Kurzprosa

Mythischer Held mit Sidekick

Der Drachentöter Siegfried gehört zu den ikonischen Figuren der germanischen Sagenwelt. Er ist nicht nur Teil von Wikingersagen ("Sigurd") und des mittelalterlichen Nibelungenlieds, sondern auch in den Opern von Richard Wagner der klassische Held schlechthin. Alex Alice hat sich von einigen dieser Vorlagen inspirieren lassen und einen Teil der Geschichte des Drachentöters in drei Graphic Novels erzählt. Diese hat der Bielefelder Splitter-Verlag nun zusammen in einem Sammelband unter dem Titel "Siegfried" herausgegeben.

Der erste Eindruck von "Siegfried" ist ähnlich pompös wie eine Wagner-Oper. Die Graphic Novel ist als Hardcover edel aufgemacht und erscheint im großen Albumformat. So kommt der bildgewaltige Stil von Autor und Zeichner Alex Alice - angefangen vom grimmigen Gott Odin, der durch die gewählte Perspektive noch einschüchternder wirkt, über den tobenden Drachen Fafnir bis zu Siegfried selbst, der einem Klippenspringer gleich auf das Maul des Untiers zuspringt - besonders gut zur Geltung. Kein Wunder, dass der Beginn und das Ende der Graphic Novel sogar ganz ohne Text auskommen, wobei der französische Künstler vor allem die düstere Atmosphäre am Anfang gekonnt zelebriert.

Dazwischen beeindruckt Alex Alice durch zahlreiche packende Sequenzen mit viel mythologischer Wucht, beweist aber auch bei der Bildkomposition Kreativität. So präsentiert der französische Zeichner etwa auch seine Panels verdreht, als sich Siegfried verirrt. Dann wieder verwendet er ungewöhnliche Bildformate, um den Eindruck der jeweiligen Sequenz zu intensivieren. Zudem sorgt er für Abwechslung und Dynamik, indem er die Geschichte des Drachentöters nicht nur linear präsentiert, sondern einen besonderen erzählerischen Rahmen wählt. Denn zahlreiche Sequenzen erzählt die Hexe Völva, die dank ihrer Gabe sowohl vergangene und gegenwärtige als auch zukünftige Ereignisse schildern kann.

Auch wenn die Graphic Novel nur schlicht "Siegfried" heißt, gibt es eine weitere Figur, die fast eine so zentrale Rolle in der Handlung einnimmt wie der Drachentöter. Nein, die Rede ist nicht vom höchsten Gott Odin - der allerdings als gleichermaßen Beherrschender und Beherrschter auch reizvoll gestaltet ist. Es geht vielmehr um den Nibelungenschmied Mime. Dieser erzieht hier nicht nur den Drachentöter in spe, sondern agiert über weite Passagen sogar als eine Art Sidekick, der mal ängstlich, gierig oder wütend und dann wieder besorgt, grimmig oder witzig agiert.

Neben dem strahlenden Held Siegfried taucht so eine vielschichtige - und auch optisch etwas ungewöhnlich, aber überzeugend gestaltete - Figur auf, die immer wieder für komische Momente sorgt. So entsteht ein reizvoller Kontrast zwischen düsterem Schicksal bzw. drohenden Weltuntergang und heiterer Komik - bis hin zu Slapstick-Einlagen. Eine ähnliche Auflockerung hätte auch der Endsequenz gutgetan, denn diese wirkt in ihrer Bildsprache dann doch etwas verkitscht. Dieser kleine Makel mildert den Lesegenuss insgesamt allerdings kaum.

Alex Alice zeigt eindrucksvoll, wie sich mythologische Geschichten zeitgemäß erzählen lassen: bildgewaltig, stimmungsvoll und mit einer Prise Humor.

Ingo Gatzer 
21.06.2021

 
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Das Buch:

Alex Alice: Siegfried. Gesamtausgabe. Aus dem Französischen von Tanja Krämling

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Bielefeld: Splitter Verlag 2021 231 S., € 39,80 ISBN: 978-3-96219-469-7

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