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Lebendige Geschichte

"Prügelmädchen. Patchwork-Texte" ist eine Sammlung von Notizen, Gedankensplittern und Erinnerungen an eine Kindheit im Internierungslager auf dem Balkan gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. "Die SS säubert gnadenlos" schreibt Rosa Speidel am Anfang des Buches. Die Deutschen entscheiden über Tod und Leben – aber um welchen Preis kann man unter solchen Umständen überleben? Hunger, Gewalt und Hass bestimmen den Alltag der Internierten, nachbarschaftlicher und familiärer Zusammenhalt weicht nackter Existenzangst.

Es ist ein beklemmendes und verstörendes Buch, das ein Stück europäischer Geschichte lebendig werden lässt. Verstärkt wird diese für den Leser schockierende Wirkung des Buches durch die Aktualität solcher Ereignisse: Fast täglich wird man in den Fernseh-Nachrichten mit Bildern aus Flüchtlingslagern konfrontiert. Dass andere Menschen auf dieser Erde vor Dürre und Hunger, Invasionen und Bürgerkriegen fliehen müssen, alles aus ihrem bisherigen Leben aufgeben müssen, gehört auch für uns im 21. Jahrhundert zum Alltag.

Kaum vorstellbar ist es, was in solch einem Lager wirklich passiert. Jeder Einzelne der Texte aus „Prügelmädchen“ lässt es den Leser nur ahnen. Ein Schluck Milch, ein Stück Karotte, ein Löffel Suppe sind ein Segen, ein gutes Wort eines Erwachsenen selten: „Es gab damals nicht viele Erwachsene, die lachten.“ Erschießungen sind an der Tagesordnung, Tod durch Entkräftung oder Verhungern bestimmen den Alltag. Selbst unter den Kindern herrscht Gewalt, jeder ist sich selbst der Nächste. Und doch: Immer wieder sind bei den Gequälten Spuren von Stolz und Menschlichkeit spürbar, die sich in Kleinigkeiten zeigen.

Wie kann man jemals nach solchen Erlebnissen ein normales Leben führen? Rosa Speidel hat einen Weg gefunden, das Erlebte zumindest teilweise zu verarbeiten: indem sie darüber schreibt, sich mitteilt, berichtet. Und das wiederum hilft nachfolgenden Generationen, nicht zu vergessen. Und doch ist es für beide Seiten wohl nur minimal möglich zu verarbeiten. Besonders betroffen macht daher der letzte Satz des schmalen Buches: "Meine Kindheit war zwar keine, aber sie schreit und stinkt immer noch."

Kerstin Thierschmidt
11.02.2008

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