Erzählbände & Kurzprosa

Literatur , so traurig-schön , dass es einem das Herz zerreißt , und doch so inspirierend wie das Gemälde eines Ausnahmemalers

Wenn Ali Smith die Regeln des Erzählens erklärt, entfalten sich Geschichten. Ihre Vorlesungen über Literatur sind eine Liebesgeschichte, wie sie noch keiner je gehört hat: eine Geschichte zweier Liebender ebenso wie die Geschichte der Liebe des Menschen zur Kunst und was sie für unser aller Leben bedeutet. In "Wem erzähle ich das?" treibt die britische Autorin ihre meisterhafte Erzählkunst in neue Höhen. Zwischen zwei Buchdeckeln steckt eine Überraschung sondergleichen: eine spielerische, geistreiche Mischung aus Essay, Erzählung und Roman, ein Fest des Entdeckens und Forschens, eine Hymne auf die Kraft der Kreativität, die uns Menschen über Zeit und Raum und bis über den Tod hinaus verbindet. Einfach nur zum Niederknien!

Die Ich-Erzählerin trauert, weil ihre Lebens- und Seelengefährtin, eine begnadete Kunst- und Literaturwissenschaftlerin, viel zu früh aus dem Leben schied. Ein Jahr und ein Tag sind seit deren Tod vergangen, und noch immer kann die Erzählerin sie nicht loslassen. In der Wohnung erinnert alles an die verstorbene Geliebte: Ihre Vorlesungen sind überall verstreut, dann glaubt sie auch noch, die Erscheinung der Geliebten leibhaftig vor sich zu sehen, und beginnt mit ihr zu sprechen. Ein Dialog entspinnt sich über Kunst und was sie bewirken kann und wie untrennbar sie mit dem Leben verbunden ist. Als Leser sitzt man wie ein Voyeur neben den beiden und lauscht ihnen ganz verzückt, beinahe wie hypnotisiert, ganz so als gäbe es nichts anderes auf der Welt.

Sie sprechen über Michelangelo und Dickens, Ovid und Colette, Sappho, Shakespeare und Saramago, steinzeitliche Höhlenmalereien und Filmmusicals, Alfred Hitchcock oder Salvador Dalí. Und über diesem Kommentieren und Erzählen, über diesem Erinnern und Trauern gewinnt die Protagonistin ihren Lebensmut, die Lust am Schauen und Denken und Sein zurück, Stück für Stück, von Tag zu Tag immer mehr ...

Unterhaltung, wie man diese definitiv nicht alle Tage in die Hände bekommt - ein Buch wie "Wem erzähle ich das?" ist ein ganz besonderes Lesegeschenk. Ali Smith gelingt es, Liebe und Verlust, Trauer und Freude auf nur wenigen Seiten eindringlich dem Leser näherzubringen und ihn mit ganz vielen Emotionen im tiefsten Herzen zu berühren. Ab dem ersten Satz braucht man ein Taschentuch. Denn die "Story" ist einfach zum Weinen schön! Und doch blitzt in dieser immer wieder Hoffnung durch, Hoffnung auf ein Happy-End, das allerdings unmöglich ist. Nach diesem Lesegenuss ist nichts mehr wie noch Stunden zuvor. Es verändert Leben sowie unseren Blick auf die Welt. Von diesem Vergnügen fühlt man sich ganz überwältigt. Es gibt nichts Schöneres!

Absolut grandios, wie Ali Smith schreibt. Sie spielt so meisterlich und zugleich so poetisch mit literarischen Formen sowie der Sprache, dass einem während der Lektüre ihrer Bücher ganz schwindelig wird. "Wem erzähle ich das?" bedeutet Kunst in höchster Vollendung. Solch ein Leseerlebnis ist von großer Seltenheit, und gehört deshalb unbedingt in jedes Bücherregal.

Susann Fleischer
28.05.2018

 
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Das Buch:

Ali Smith: Wem erzähle ich das? Aus dem Englischen von Silvia Morawetz

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München: Luchterhand Literaturverlag 2017
224 S., € 20,00
ISBN: 978-3-630-87436-4

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