Briefliteratur & Tagebuch

Ein Mahnmal wider des Vergessens

Hélène Berr ist 19 Jahre jung und voller Träume, als Hitlers Truppen in Frankreich einmarschieren und das Land besetzen. Trotz des Machtwechsels ändert sich für die französischen Juden vorerst nichts. So wird Hélène die Möglichkeit gegeben, an der berühmten Universität Sorbonne Englische Literatur zu studieren und an den wenigen freien Tagen sich mit Freunden zu treffen und mit ihnen Momente der Unbeschwertheit zu verleben. Doch nur wenige Monate später hat der vermeintliche Frieden ein Ende und die Grausamkeiten der Nationalsozialisten nehmen unvermindert an Kraft zu. Hélène erlebt dies alles hautnah mit und hält es im "Pariser Tagebuch" für die Nachwelt fest.

April 1942: Paris ist von den Deutschen besetzt, aber noch herrscht auf den Straßen und Plätzen der französischen Hauptstadt normaler Alltag. Auch Hélène wird von der Leichtigkeit des beginnenden Frühlings angesteckt und verlebt mit ihren Freunden eine unbekümmerte Zeit. Sie unternehmen Ausflüge aufs Land, geben sich der Literatur und Musik hin und denken über das Leben und die Liebe nach. Zwei Monate später wird die friedliche Ruhe durch verschärfte Gesetze zerstört. Hélène muss fortan den Judenstern tragen und steht unter zunehmenden Repressalien, die nicht nur sie an ihre Grenzen bringen.

Während Freunde ins Ausland flüchten und sich dort vor den Nationalsozialisten sicher glauben, beginnt für Hélène und ihre Familie ein Überlebenskampf, der täglich von vorne beginnt. Ihr Vater wird vorübergehend festgenommen und sie tritt einer Organisation bei, die den bereits internierten Juden und deren Angehörigen hilft. Doch als Hélène im März 1944 nach Bergen-Belsen deportiert wird, verstummt ihre Stimme für immer. Einzig in ihrem Tagebuch erklingen sie bis zum heutigen Tage und mahnen die Leser zu Menschlichkeit unter den Völkern. Und noch etwas gelingt ihr: Sie rüttelt die Nachwelt auf, indem sie ohne überbordender Gefühle und umso realitätsnaher ihre Sicht der Dinge erzählt.

Hélène Berrs "Pariser Tagebuch" ist ein erschütterndes und sehr bewegendes Zeitdokument wider des Vergessens, das man nicht ungehört lassen darf. Dieses Buch stimmt den Leser traurig, zeugt aber zugleich von einem Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft. Man schüttelt sich wegen der Gräueltaten Adolf Hitlers und kann trotzdem nicht wegsehen, denn Berrs Worte sind ein Ausdruck ihres Lebens, dem drei lange Jahre ein unglaublicher Schrecken anhaftete. Und das ist auch der Grund, weshalb das "Pariser Tagebuch" in den Köpfen und Herzen seiner Leser nachhallt. Ein historisches Zeugnis, das trotz eines übermächtigen Schreckgespenstes die Schönheit des Alltäglichen in sich trägt - und deshalb umso wichtiger für die Menschen von heute ist. Denn es erzählt von der Tragik des Lebens, die jeden von uns jederzeit wieder treffen kann.

Susann Fleischer
28.03.2011

 
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Das Buch:

Hélène Berr: Pariser Tagebuch. 1942-1944. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl

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München: dtv 2011
336 S., € 9,90
ISBN: 978-3-423-34635-1

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