Briefliteratur & Tagebuch

Paul Celans Briefe: ein ähnlich großes, geradezu umwerfendes Leseereignis wie seine Gedichte

Paul Celan, der meistgedeutete deutschsprachige Dichter nach 1945, ist auch der Autor eines eminenten Briefwerks. Mit dieser Ausgabe wird es nun erstmals als eigenes Werk sichtbar: in 691 Briefen, davon 330 bisher unpubliziert, an 252 Adressaten. Wer sind die Adressaten? Es sind die Mitglieder der Familie, geliebte Frauen, befreundete Autoren, sehr junge und begeisterte Leser, Übersetzerkollegen, französische Philosophen ebenso wie deutsche Germanisten und die Mitarbeiter vieler Verlage. Aus alledem entsteht in chronologischer Folge über vier Jahrzehnte ein Leben aus Briefen. In den Briefen spiegelt sich Celans Gefühlswelt einzigartig, faszinierend und absolut grandios wider. So etwas kriegt man nur seltenst in die Hände. Danke an den Suhrkamp Verlag für dieses Geschenk!

In den Briefen zeigt sich Celan als herausragender Korrespondenzpartner mit einer enormen stilistischen Bandbreite, ausgeprägt in seiner Fähigkeit, auch auf Unbekannte einzugehen. Die Briefe offenbaren eine Vielzahl bisher verborgener biografischer Fakten, ermöglichen eine Präzisierung seiner Poetologie und zeigen ihn zugleich als Menschen in seinem ganz gewöhnlichen Alltag. Es ist wie ein Gespräch, das man mit Celan führt und dank dem man den Autor von seiner sehr persönlichen Seite kennenlernt. Das gelingt sonst mit keinem anderen Buch. Was für ein Geniestreich! Ein ganz großer Wurf in der Briefliteratur und definitiv mit das Beste, was in diesem Bereich in den letzten Jahren erschienen ist. Es lohnt unbedingt einen Kauf, trotz des stattlichen Preises von 78 Euro.

Briefliteratur, die einen vollkommen in den Bann zu ziehen vermag - alles, was Paul Celan schreibt, hat eine enorme Sogwirkung. Sich dieser zu entziehen, ist absolut unmöglich. "»etwas ganz und gar Persönliches«" liest man wie im Rausch. Für ein paar Stunden lang nimmt man Anteil an Celans Leben, erfährt seine intimsten Gedanke, Probleme und Sorgen. Der deutsche Schriftsteller beweist auch jenseits seines favorisierten Genres, der Lyrik: Er ist ein Meister seiner Zunft. Niemand schreibt so poetisch wie er, auch wenn es sei dabei um die Lektüre seiner Briefe handelt. Ob solch eines Genusses ist man nach dem letzten Satz ziemlich enttäuscht darüber, dass dieser ein Ende haben soll, und das trotz eines 1286 Seiten-umfassenden Werkes keineswegs ein dünn geratener Briefband.

Briefe können fesselnder sein als ein Roman. Wenn diese dann auch noch von Paul Celan verfasst wurden, erfährt der Leser Literatur auf höchstem Niveau. "»etwas ganz und gar Persönliches«" zeigt, warum der Lyriker zu den bedeutendsten seiner Generation zählt(e). Seine Schriftstücke sind wichtige Zeitdokumente, außerdem Celans Gedichten ebenbürtig. Chapeau, nicht nur vor Celans Schreibkönnen, sondern auch vor dieser verlegerischen Ausnahmeleistung, sogar Großtat!

Susann Fleischer 
06.04.2020

 
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Das Buch:

Barbara Wiedemann (Hg.): Paul Celan: »etwas ganz und gar Persönliches«. Briefe 1934-1970

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Berlin: Suhrkamp Verlag 2019 1286 S., € 78,00 ISBN: 978-3-518-42888-7

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