Ratgeber

Pubertät als Chance für die Eltern

Das Buch gemeinsam zu schreiben hatten die Eltern erst überlegt, als Ratgeberbuch. Doch dann stellte sich heraus: Das Thema eignet sich nicht für Theorie und Verallgemeinerung. So wurde ein Erfahrungsbericht draus.

Eine (intakte) Familie: Der Vater arbeitet als freier Lektor und Redakteur zu Hause, ist seit jeher für das Kochen zuständig (und hat immer versucht, was wir sonst von den Hausfrauen kennen: es allen per Extrawürsten recht zu machen), die Mutter ist Übersetzerin. Anna und Miriam, die beiden Töchter, sind auf einmal in der Pubertät! Der Anfang kam irgendwie schleichend; im Nachhinein kann man abnehmenden Sinn für Ordnung und zunehmende Ansprüche bezüglich Klamotten ausmachen. Und diese Szenen! Immer fangen sie mit Lappalien an - und jeden zweiten Tag gibt’s eine davon!

Es ist dennoch ein Ratgeberbuch, ein ungewöhnliches: für solche Leser, die nicht Rezepte suchen, sondern die die Erfahrungen anderer mit den eigenen vergleichen wollen. Betroffene Eltern (speziell Hausmänner und Hausfrauen) finden Trost, können sich über die Diskussionen - authentisch und köstlich unlogisch - freuen, die so wiedergegeben sind, als hätte der Vater ein verstecktes Mikrophon mitlaufen lassen – oder als wäre in meiner oder Ihrer Küche eines mitgelaufen. Der Leser findet Streit (Erleichterung: so geht es andern auch) und findet Streitkultur – an der zu lernen ist. Beobachtungsgabe und Humor des Autors sind bemerkenswert: "Gab es so etwas wie einen pubertätseigenen Umgangston? Einen Umgangston, der meinen Töchtern plötzlich gewachsen ist wie ein zusätzlicher Körperteil?" Oder: "’Das ist ja was anderes’", sagte meine Frau in ihrem üblichen Schlichterton, der mir gefällt, wenn ich ihre Hilfe brauche, der mich aber rasend macht, wenn ich gerade die Fassung verliere."

Dieser Vater nimmt seinen Vaterjob ernst. Und er erzieht nicht nur die Töchter, er arbeitet auch an sich. Genau das ist seine Chance. Z. B. führt er Tagebuch über Dinge, die ER lernen müsste, das nennt er: Einträge in den Wunschzettel. Ein Punkt z.B. heißt: "Lernen, angekotzte Gesichter, Anbrüllen und sonstige Angriffe auf meinen Seelenfrieden unter Pubertät abzuhaken."

So wie in der Pubertät die Kinder von der Kindheit Abschied nehmen, so sollten die Eltern vom Elternsein sich innerlich verabschieden und wieder eigenständige Persönlichkeiten werden, mit eigenen Interessen und Strukturen. Das eben ist die Chance, die der Autor auf bemerkenswerte (und anrührend ehrliche) Weise ergriffen hat.

f.m.s.
03.11.2002

 
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Das Buch:

Lothar Strüh: Meine zwei Töchter, der Kühlschrank und ich. Pubertät als Chance für die Eltern

CMS_IMGTITLE[1]

Bern/München/Wien: Scherz Verlag 2002
206 S.
ISBN: 3-502-14695-0

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