Autobiographie

Vergeben, um zu versöhnen

Hätte das nicht geschehen können? Auch das? Irgendwer hätte Friedrich Schorlemmer den Stuhl des Bundespräsidenten hinstellen können, und er hätte sich platziert. Soweit ist es dann doch nicht gekommen. Stattdessen hat den Platz der "Wanderprediger der Freiheit" eingenommen. O-Ton des Wittenberger Pfarrers! Die beiden Männer, den Grünen durchaus zugeneigt, sind sich offenbar nicht grün. Ehrgeiz, Eitelkeit, Energie werden Schorlemmer wie Gauck nachgesagt. Wieso auch nicht. Ohne diese Eigenschaften wäre für die Genannten, trotz ihres Gottvertrauens, auf Erden nicht so viel auszurichten gewesen.

Friedrich Schorlemmer, Pfarrer und Publizist, hat in seiner Biographie "Klar sehen und doch hoffen" beschrieben, wie bewegt und bewegend es war mit dem Ausrichten, Ausgerichtetsein und dem Richten. Deutlich ist das in den Schlusssätzen des Buches geäußert, in dem auch der Titel steckt. "Klar sehen, dass Leben kostet", sagt Schorlemmer und lebt, wie er sieht. Eher thematisch denn chronologisch schildert der Autor, was im Geben das Leben nimmt.

Auch den Engagierten und Eifrigen, 1944 geboren, prägten vier Jahrzehnte die Lebensmuster, die in der DDR geformt und gebildet wurden. Schorlemmer nimmt es nicht hin, dass ihm etwas von seiner Biographie genommen wird. Er summiert, was die Substanz des Lebens in der DDR ausmachte und was die Schwierigkeiten und was das Schwere war. Im Schmerzlichen war oft auch Lustvolles. Das hatte der politische Protestant und protestierende Pfarrer zu tragen und zu ertragen. Friedrich Schorlemmer hat lebensbestimmte und bestimmende Gewissheiten. Unbeugsam, furchtlos ist er in seinem Friedenswillen. Er redet einer "globalisierten Friedensbewegung" zum Munde, die in einen "protestantischen Frieden" der Welt mündet. Ist das eitel, arrogant, hochmütig formuliert? Na, dann sollten wir so hochmütig, arrogant, eitel sein, wie es Schorlemmer sein kann.

"Klar sehen und doch hoffen" ist mit der ergänzenden Erklärung etikettiert "Mein politisches Leben". Was soll´s? Wann ist ein privates, persönliches Leben nicht auch ein politisches Leben? Kann das Private, Persönliche unpolitisch sein? Trennen, was untrennbar ist? Schorlemmer schafft´s tatsächlich Privates und Persönliches auszusparen, ohne sich etwas zu vergeben, wenn er persönliche, private Episoden erzählt. Ja, erzählt, was nicht seine Art des Mitteilens ist. Er ist, wenn er schreibend sein Leben bedenkt, immer der politische Publizist, der das Leben eines gläubig-kritischen Protestanten führt. Im Privaten wie in der Profession. Bestimmt durch das Herkommen aus einer Pfarrersfamilie. Bestimmt durch die theologische Bildung und Ausbildung inmitten der DDR.

Sich und seine Glaubensgenossen einschätzend, schreibt er: "Sie sagten, was sie dachten, und dachten wirklich, was sie sagten". Das den DDR-Interpreten ins Stammbuch! Nicht zuletzt bestimmt durch das Tun als Theologe. "Das ist Lebenskunst", formuliert Schorlemmer, wenn Versöhnung das Vergeben will wie das Vergeben die Versöhnung. So spricht der praxiserfahrene, der pragmatische Pfarrer. Kein Träumer. Wahrlich nicht. Einer, der klar sieht und dennoch ein Hoffender ist. Allzeit. Allerorts. In allen Landstrichen des schönen, oft unverstandenen und unvertrauten ungeteilt getrennten Landes.

Sich fortwährend zu fragen, was das Gewesene ist, bedeutet, achtsam auf das Gegenwärtige zu schauen. Sich ständig zu fragen, ständig zu hinterfragen bedeutet, der geregelten und reglementierten Sprache auf der Spur zu bleiben. Als beharrlicher Analytiker, der Schorlemmer ist. Sprache ist Schorlemmer zugleich Motor und Benzin gesellschaftlicher Situationen und Stimmungen, gegen die er sich mit seinem Widerwort wehrt. Selbstzweifel wie Selbstgewissheit findet der Publizist in theologischen Schriften wie den weltlich-literarischen Werken, die er nutzt, um seinem Argumentieren wirkungsvollen Ausdruck zu geben. Also aufgepasst, wenn Schorlemmer mit reflektorischen, verallgemeinernden Äußerung auftritt. Sie sind Verwandte des Geistes, der seine Versöhnungs-Vergebungs-Gedanken unprätentiös predigt. Gedanken, die das Gewebe des Willens und Wollens des Friedrich Schorlemmer ermöglichen.

Der Schreiber ist kein streitsüchtiger Provokateur. Ausgestattet mit solidem polemischen Sinn, ist der Autor ein Taktiker, der die Menschenbildung als eine Sache der nötigen täglichen Bildung der Menschen sieht. Die Energie des Friedrich Schorlemmer ist in seinem Eifer, immer alles für das Hinaufleben des Menschen zu tun. Dem Tun ist auch die politische Biographie "Klar sehen und doch hoffen" verpflichtet. Das Buch eines Publizisten und Theologen, der seinen Hang zum Philosophieren nicht verhehlt. Was hält die göttliche Welt zusammen? Und wer, bitte schön?

Bernd Heimberger
07.01.2013

 
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Das Buch:

Friedrich Schorlemmer: Klar sehen und doch hoffen. Mein politisches Leben

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Berlin: Aufbau Verlag 2012
524 S., € 22,90
ISBN: 978-3-351-02750-6

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