Autobiographie

Zeitzeugnisse aus Oberschwaben

Wieder ein Buch, das die Kriegs- und Nachkriegszeit nacherleben lässt. Ist es eine Art kollektiver Verarbeitung, was da deutschlandweit Buch für Buch geschieht? Sie sind jedenfalls in den Köpfen als bedeutungsvolle Lebensphase haften geblieben, jene Jugendjahre. Das gilt auch für Rainer B. Mattes, der 1938 in Biberach an der Riss geboren wurde und heute in Tuttlingen an der Donau seinen Ruhestand genießt. Baden-Württemberg als Szenerie also. Sein "Moränenhügel" zeigt gelebte Geschichte, die kriegsbedingt über die engere Heimat hinausführte.

Wenn man ein Jahr vor Kriegsbeginn geboren wird, bilden Krieg und Besetzung Kulisse der Kinderstube. Aber im Buch "Moränenhügel" gibt es auch - unbekümmert von Wirren und Not - Apfelküchle und Reisauflauf. Es gibt auch das Naschen der Kinder am Bierkrug der Großen. Man sammelt Holz für den Winter, kann sich aber auch freuen, zum Beispiel über den Besuch im Zirkus. Sie beten "ein Gesetzle aus dem schmerzhaften und eines aus dem freudenreichen Rosenkranz" - immer wieder ist von der Kirche die Rede, die mit den Menschen die bedrohliche Kriegszeit überlebt.

Vater aus amerikanischer Gefangenschaft zurück. Er war in Oklahoma gewesen, später erzählte er seiner Familie voller Begeisterung vom Leben im Amerika. Am liebsten wäre er ausgewandert. Für den jungen Rainer B. Mattes waren die Bücher Karl Mays eine herrliche Gelegenheit, vom Alltag auszubrechen und Abenteuer zu erleben als Old Shatterhand oder als Kara Ben Nemsi. Das Buch wird zu einem liebevollen Rückblick voller Aufmerksamkeit für Details hier und dort. Es sind aufgereihte Belege eines Lebens, das nicht vom Spektakel zehrt.

Man kann sie gut miterleben, die Jahre, in denen zur Deutschen Mark gewechselt wird, in denen schöne Sommerfeste auferstehen, in denen das Waschhäuschen wieder Ort der Begegnung und des fröhlichen Austausches werden darf.

Musik spielt in dieser biografischen Skizze eine wichtige Rolle. Man hört und man spielt vor allem Musik. Das war für ihn, dessen Mutter Klavierunterricht erteilte, nichts Erstaunliches, eher eine schöne Selbstverständlichkeit, auch wenn sich das Geigenspiel in den Anfängen alles andere als schön anhörte. Auch von Zeichenkünstlern ist die Rede. Man liest von der Reise in die Schweiz, nach St. Urban und in die Bergwelt um den Vierwaldstättersee. Es hört sich an wie ein Aufatmen nach entbehrungsreicher Enge.

Immer wieder haben Biografen versucht, ihre Texte mit Zeichnungen aufzulockern. Oft sind daraus hilflose Strichwerke geworden, die gerade durch ihre Hilflosigkeit die Lebensart von damals gut wiedergeben. Im Buch "Moränenhügel" ist das ganz anders. Hier hat ein talentierter Künstler die Hand im Spiel gehabt, nämlich Kunstmaler Hermann Geyer aus Ulm. Es lohnt sich, einmal losgelöst vom Text nur in dessen Zeichnungen zu blättern und zu beobachten, wie gut er Haltung und Bewegung getroffen hat. Es gibt hier glücklicherweise keine Beschönigung und keine Abrundung, wo die Realität nur Ecken sah. Es sind überaus gut gelungene Illustrationen, die mehr als nur Beiwerk sind. Auch sie zeigen in ihrer Art ein Süddeutschland der Nachkriegszeit. Es sind Momentaufnahmen in dörflicher Szenerie, ganz nahe am Menschen zu Bild gebracht. Wie wenig Hermann Geyer brauchte, um eine Körperwendung anzudeuten oder einen Blick festzuhalten!

Ronald Roggen
23.04.2012


Die Lesung im Deutschen Literaturfernsehen finden Sie hier.

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Rainer B. Mattes: Moränenhügel. In Oberschwaben nach dem Zweiten Weltkrieg

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2011
186 S., € 16,80
ISBN: 978-3-8372-0971-6

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.