Autobiographie

Wie fühlt sich meine Jugendzeit an?

Über fast 250 Seiten hindurch schildert Klaus-Jürgen Johannsen seine Kindheit und Jugend. Es sind dicht beschriebene Blätter, auf denen "Der Junge aus Gettorf" sehr anschaulich vor unsere Augen tritt. Alles ist ordentlich ausgebreitet, alles geordnet, bis in alle Einzelheiten hinein beschrieben und als Erlebnis zugänglich gemacht. Es steckt ein unerhörtes Maß an Gründlichkeit und Aufmerksamkeit in diesem Rückblick auf die Zeit, die Johannsens Geburt 1939 folgte.

Da mag sich mancher Leser betroffen fühlen und sich fragen, wie sich seine Jugendzeit so anfühlte, die doch so wichtig wurde für sein Leben. Jüngere Menschen werden sich an die Zeit der Rockmusik erinnern, andere an eine verpolitisierte Jugend, an Hippies oder anderes. Johannsens Kindheit und Jugend war in verschiedener Beziehung anders als jene "Jugenden", die der seinen folgten.

Da war es einmal die Gegend, welche die Menschen prägte: der Dänische Wohld, gelegen im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Johannsen wuchs in Gettorf auf, das heute fast 7.000 Einwohner zählt und zwischen Kiel und Eckernförde liegt. Das bedeutete deutscher Norden mit all seiner Ländlichkeit. Dazu passt Johannsens einfache und handfeste Sprache, die klar benennt und die Augen anspricht. Mit den Augen dieses schreibenden Beobachters blickt man in die Wohnungen, auf die Gärten, Wege und Wiesen. Hier wickeln sich die ungezählten Streiche ab, die alle Kinder in ihren Bann zogen, wenn nicht gerade Bombergedröhn die Menschen in die Keller und Bunker trieb. Bubenstreiche neben Granatsplittern, versuchte Alltagsnormalität neben Ausnahmezustand. Der Alltag wird in diesen Geschichten erlebbar gemacht und mit sorgfältigen Beschreibungen fest gemacht.

Da war Krieg. Der Vater im Kriegseinsatz, die Familie in existenzieller Bedrängnis, aus der heraus man erfinderisch wurde und viel arbeitete, um leben und überleben zu können. Es war ein denkbar einfaches Hausen in engen Verhältnissen, aber Klagen hört man aus diesem Buch nie heraus. Es ist ein zufriedener, ja stolzer Blick auf jene ungewisse und karge Zeit. Begegnungen mit Gänsen, Erfahrungen beim Baden, Auftritte als Gespenst, dies alles gehörte zum Bild, das Johannsen uns mit geraden Strichen hinzeichnet. Natürlich fehlt hier auch der Schulunterricht nicht.

Es gab dabei glücklicherweise eine liebevolle Mutter, deren Zuwendung viel von dem wettmachte, was ein harter Vater nicht geben konnte: "Wenn Mutti nicht gewesen wäre, hätten wir nie erfahren, was Liebe ist." Lange war der Vater eigentlich nicht weg gewesen. 1943 wurde er eingezogen, 1945 kam er aus der Gefangenschaft zurück. Johannsen berichtet nicht nur über Schönes, sondern auch über Streit in der Familie. Die Erlebnisse mit seinem Vater empfand der Autor als "überwiegend negativ".

Man steht beim Bäcker Schlange, wenn man ein Brot haben will, und man wartet auch beim Kohlenhändler. Ein grundehrlicher Johannsen breitet alles vor uns aus, und er erklärt uns auch, wie man mit Holz und Draht recht taugliche Schlittschuhe baut. Es war eine erfinderische Zeit gewesen, in der man sich an den Tabakanbau wagte, um etwas vom Glück zu erlangen. Tabak mit Pflaumenaroma!

Zwölf Jahre, authentisch berichtet und mit amüsanten Bildern illustriert - sie haben in der Erinnerung sehr gut überlebt.

Ronald Roggen
28.02.2011

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Klaus-Jürgen Johannsen: Der Junge aus Gettorf. Erlebnisse einer Kindheit

CMS_IMGTITLE[1]

Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2010
244 S., € 18,80
ISBN: 978-3-8372-0633-3

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.