Biographie

Äußerungen eines Autonomen

Wer kann überblicken, was seit 1990 an Erinnerungs-Memoiren-Literatur mit deutlicher DDR-Tendenz über uns gekommen ist? Vielleicht der Kollege Computer! Die Masse gerechtfertigter wie ungerechtfertigter Erinnerungs-Bücher ist schnell Makulatur geworden. Manchmal allzu schnell. Die bislang beste Biographie der DDR ist in den biographischen Büchern derjenigen, die in der DDR wohnten. Derjenigen, die die DDR verließen, ohne daß sie die DDR verließ. Einer dieser Leute ist der Maler Hans-Hendrik Grimmling, der wesentlich-wichtige Jahre in Leipzig lebte. Jahre, die der Mittelpunkt seiner Memoiren "die umerziehung der vögel" sind.

Memoiren ist ein zu schwaches Wort für die literarisch ambitionierte Autobiographie, an deren Ausführung die Autorin Doris Liebermann beteiligt wurde. Beide wuchsen in der DDR auf und haben ihr Grundgefühl für Lebensbedingungen und –stimmungen im Dreibuchstaben-Land nicht vergessen und verleugnet. Das macht das Grimmling-Buch zu einer Lektüre, die sie vor dem schnellen Abrutschen in die Mühle der Makulatur bewahren sollte.

Die starke bis überstarke Mein-mein-mein-Haltung des 1947 geborenen Malers bestimmt die persönliche, subjektive substanzielle Bilanz des Buches, die nur wenige ernstzunehmende Erinnerungs-Bücher wirklich haben. Grimmling, das ist sofort zu spüren, ist ein Mensch, der die nette, konventionelle Unverbindlichkeit nicht liebt. Seine autobiographischen Äußerungen sind keine netten, konventionellen, unverbindlichen Äußerungen. Nett ist er jedoch, sobald er über Künstlerkollegen spricht, die geschätzte oder kritisch beurteilte Freunde wurden. Verbindlich, unkonventionell, also wirklich nicht nur nett ist, was zur Situation der Kunst und Gesellschaft in der DDR geäußert wird. Insbesondere zur Situation des strebenden, suchenden Künstlers Hans-Hendrik Grimmling.

Er gehört zu der Künstlergeneration, die in die DDR hineinwuchs und sich als Künstler nur schützen und bestätigen konnte, indem sie sich gegen die Normierungen in der DDR wehrte. "Noch heute glaube ich an die Wirkung der Malerei", sagte der Selbstbetrachter. Das bedeutet, auf die Autonomie der Kunst nicht nur zu pochen, sondern sich künstlerisch autonom zu artikulieren. Das bedeutet, als Abhängiger, Unabhängigkeit nicht nur zu betonen, sondern zu bestimmen. Bedeutet, die eigene Existenz als Experiment zu akzeptieren und sich die wie Anderen begreifbar zu machen. Bedeutet, eins zu sein im Widerspruch mit sich selbst wie der Gesellschaft. Was wird aus Widerspruch, im Widerspruch? Das ist die bleibende Frage für alles Wollen und Wirken und somit für das Werk von Hans-Hendrik Grimmling.

Die philosophisch-literarisierte Sprache des Buches, einschließlich der publizierten lyrischen Texte, stützt die weltanschaulichen wie künstlerischen Auffassungen und Bekenntnisse des Malers. Die zuweilen von der bildhaften Alltagsprache geprägten Passagen bestätigen die Bodenständigkeit des philosophierenden Kunst-Leben-Betrachters. Der schreibt 1985, soeben in der neuen Wirklichkeit des mondfernen Westberlin angekommen: "Es ist alles frei und doch bedrängend". Was, im hauptsächlichen Teil des Buches, über die bedrängende DDR gesagt wird, das ist gründlich Durchdachtes. Das macht die Grimmling-Biographie, in ihrer Dichte, zu einer differenzierten DDR-Biographie. Die wird für das Schreiben der wirklichen DDR-Geschichte noch gebraucht!

Bernd Heimberger
17.03.2008

 
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Das Buch:

Hans-Hendrik Grimmling, Doris Liebermann: Die Umerziehung der Vögel. Einmalerleben

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Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2008
288 S., € 24,90
ISBN: 978-3-89812-543-7

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