Medien & Gesellschaft

Licht in eine dunkle Zeit

Spätestens seit der Verfilmung "Die Fälscher" ist das "Unternehmen Bernhard" auch einem breiten Publikum bekannt. Während des Zweiten Weltkriegs hatte die NS-Führung die abartige Idee entwickelt, britische Pfundnoten im großen Stil zu fälschen, diese dann über England abzuwerfen und somit die britische Wirtschaft nachhaltig zu schwächen. Die Organisation und Leitung dieses Vorhabens hatte der SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger inne. Dessen Vorname stand dann auch sogleich Pate für das ganze Unternehmen. Es wurde eine Fälscherwerkstatt aufgesetzt, die für den größten Teil ihres Bestehens im KZ Sachsenhausen nahe Oranienburg angesiedelt und ausschließlich mit jüdischen Häftlingen besetzt war. Obgleich der Plan der NS-Oberen nie zur Ausführung gelangte, kann man der Fälscherwerkstatt als solcher durchaus Erfolg bescheinigen: Unmengen von hervorragenden "Blüten" wurden gefertigt und vor allem überlebten dank dieser "kriegswichtigen" Institution 140 totgeweihte Häftlinge.

Bernhard Krüger selbst überstand den Zusammenbruch des Dritten Reichs und das Ende seiner Fälscherwerkstatt unbeschadet. Nachdem er einige Monate untergetaucht war, stellte er sich schließlich den Alliierten. Schlussendlich wurde er nur als "Mitläufer" eingestuft und entging somit abgesehen von seiner Zeit in Untersuchungshaft einer Bestrafung. Dennoch lag und liegt über seiner Familie der ewige Fluch von Bernhard Krügers Vergangenheit. Im besten Familienstile des Verschweigens wurde diese entweder unter den Tisch gekehrt oder mit pauschalen Feststellungen gut geheißen bzw. entschuldigt. Seine Enkeltochter Charlotte Krüger wollte dem jedoch ein Ende setzen und hat sich tief in die Geschichte ihres Großvaters, den sie noch als ihren Opa in den ersten zehn Jahres ihres Lebens kennengelernt hatte, eingegraben. Dabei herausgekommen ist das vorliegende Buch, das die Spurensuche der Journalistin festhält.

"Mein Großvater, der Fälscher" sollte Antworten liefern auf die vielen Fragen, die sich Charlotte Krüger in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder gestellt hat. Warum bekleidete ihr Großvater eine nicht unwichtige Führungsrolle in der SS? Betrieb er die Fälscherwerkstatt etwa nur, um den darin beschäftigten Juden das Leben zu retten? War ihr Opa gar ein weiterer Oskar Schindler? In der Familie gab es auf diese Fragen entweder keine Antworten oder solche, die in ihrer Einfachheit keinen kritischen Nachfragen standhalten konnten. Charlotte Krüger hat keine Kosten und Mühen gescheut, um mit den Menschen zu sprechen, die ihren Großvater besser kannten oder gar in Ausübung seines Amtes am eigenen Leib erlebt hatten. Ein Besuch bei ihrer Tante in Neuseeland sollte Aufschluss über das merkwürdige Binnenklima in der Familie Krüger bringen, mit dem in Berlin lebenden Jack alias Isaak Plapler, der in Krügers Fälscher-Team gearbeitet hatte, hat sie viele interessante Gespräche über ihren Großvater führen können.

Bei ihren Recherchen stößt die Autorin auf viele Ungereimtheiten in der Vita Bernhard Krügers. Als Leser ist man erstaunt darüber, dass siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs viele Entscheidungen, Anweisungen oder Ereignisse sich nicht mehr vollständig rekonstruieren lassen. Entweder stößt man auf widersprüchliche Aussagen von Zeugen oder man findet eine derart dürftige Quellenlage vor, die lediglich Interpretationen zulässt. So kann sich Charlotte Krüger am Ende des Tages zwar viele Abläufe im Leben ihres Großvaters viel besser als zuvor erklären, doch verbleiben hinsichtlich der Bewertung und Charakterisierung von Bernhard Krüger einige Fragezeichen bestehen. Beileibe war er kein zweiter Oskar Schindler, doch attestierten ihm die Aussagen vieler Überlebender aus der Fälscherwerkstatt einen menschlichen Charakter, der damals unter den SS-Schergen recht rar gesät war und dem sie ihr Leben verdanken durften.

Die Autorin hat für das vorliegende Buch keine chronologisch stringente Erzählweise gewählt, sondern springt recht häufig aus dem Hier und Jetzt zurück in die dunklen Jahre des Krieges und bindet auch zahlreiche Gegebenheiten aus den Nachkriegsjahren bis hin zum Tode ihres Großvaters im Jahre 1989 ein. Der Leser wird in "Mein Großvater, der Fälscher" in eine Familienbewältigungsinitiative hineingezogen, die ihm hochspannende Einblicke in eine der absonderlichsten Unternehmung des Zweiten Weltkriegs gewährt. Zupass kommt ihm dabei der flüssige Schreibstil der Autorin, der es zwar nicht gelungen ist, alle ihre Fragen zu beantworten, aber doch die heute noch zu Verfügung stehenden Quellen optimal zu nutzen, um die bestmöglichen Einblicke in das "Unternehmen Bernhard" und seine Rädelsführer zu bekommen.

Christoph Mahnel
08.06.2015

 
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Das Buch:

Charlotte Krüger: Mein Großvater, der Fälscher

München: Deutsche Verlags-Anstalt 2015
352 S., € 19,99
ISBN 978-3-421-04623-9

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