Medien & Gesellschaft
Ein absurdes letztes Schlachten
Hitler war bereits seit einer Woche tot, die bedingungslose Kapitulation Deutschlands stand kurz bevor. Da ereignete sich in den Tiroler Bergen ein bizarres Schauspiel, das nochmals die ganze Sinnlosigkeit des Krieges deutlich machte. Doch zeigten die sich auf Schloss Itter zutragenden Ereignisse zugleich auf bemerkenswerte Weise, dass der Krieg trotz all seiner Absurdität niemals die allerletzten Funken an Menschlichkeit zum Erlöschen bringen wird. Der amerikanische Militärhistoriker Stephen Harding stellt den Kampf um Schloss Itter und seine Bewohner in dem brillant recherchierten Werk "Die letzte Schlacht" minutiös dar und nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs.
Das südlich von Kufstein und westlich von Kitzbühel gelegene Schloss Itter war als Außenlager des Konzentrationslagers Dachau für die Beherbergung besonderer Kriegsgefangener vorgesehen. Insbesondere französische Promi-Häftlinge wurden hier ab Mai 1943 interniert. Neben den beiden ehemaligen französischen Premierministern Édouard Daladier und Paul Reynaud waren unter anderem noch der politisch umtriebige Tennis-Champion Jean Borotra und eine Schwester Charles de Gaulles auf Schloss Itter zugegen. Zwar verlebten die Insassen eine vergleichsweise erträgliche Gefangenschaft, doch wurde ihnen in den letzten Tagen des Krieges dramatisch bewusst, dass die versprengten und sich immer weiter zurückziehenden deutschen Truppen mit Häftlingen wie ihnen womöglich keine Gnade walten lassen würden. Das Leben der vierzehn Franzosen hing trotz des am Horizont aufziehenden Kriegsendes an einem seidenen Faden.
Schlussendlich waren es bemerkenswerte Helden sowohl auf Seiten der Alliierten als auch der geschlagenen Deutschen, denen die Gefangenen ihr Überleben verdanken durften. An erster Stelle ist hierbei der zuvor mit zahlreichen Auszeichnungen dekorierte deutsche Wehrmachtsmajor Josef Gangl zu nennen, der gemeinsam mit österreichischen Widerständlern für die Verteidigung der Inhaftierten auf Schloss Itter sorgte und während dieses Gefechts gegen fanatische Einheiten der Waffen-SS sein Leben ließ. Die Entscheidung um Schloss Itter fiel schließlich durch das beherzte Eingreifen US-amerikanischer Truppen, die ihrem Seite an Seite mit Gangl kämpfenden Captain John C. Lee jr. in allerletzter Sekunde zur Unterstützung eilten.
Harding hat mit dem vorliegenden Buch eine Blaupause für massenkompatible Geschichtsschreibung abgeliefert. "Die letzte Schlacht" strotzt zwar vor Details, die Hardings penible Recherche zutage gefördert hat, doch ufert seine Nacherzählung der Ereignisse auf Schloss Itter keineswegs aus, als dass es für den normalen, geschichtsinteressierten Leser nicht mehr konsumierbar wäre. So bekommt der Waffenkenner sicherlich von Harding jede Frage nach eingesetzten Panzern und Waffen beantwortet, doch stört dies das Lesevergnügen für denjenigen, der diese Details eher beiläufig aufnimmt, keineswegs. Ebenso kann jeder Leser selbst entscheiden, ob er mit Hilfe von Google Maps oder einem Atlas die präzise beschriebenen Truppenbewegungen und Geschehnisse nachverfolgen möchte, oder ob er diese Details eher beiläufig als Zusatzinformation mitnimmt.
Auf die eigentliche Kampfhandlung kommt der Autor erst im letzten Drittel des Buchs zu sprechen. Zuvor bereitet er den Boden dafür mit einer interessanten Aufarbeitung sämtlicher Hintergründe. Neben der Historie des Schlosses liefert er zu jedem der französischen Insassen Lebensläufe ab, ebenso zu den Protagonisten der heldenhaften Verteidigung des Schlosses. Der Leser ist somit vollumfänglich mit den handelnden Personen vertraut, bevor die Schlacht um Schloss Itter ihren Lauf nimmt. Spannender als jede ersonnene Fiktion fesselt Hardings Beschreibung den Leser, wenn im Laufe des 5. Mai 1945 die Schlacht für den versprengten Haufen auf Schloss Itter verloren zu sein scheint. "Die letzte Schlacht" ist die Dokumentation eines völlig abstrusen Schlussakkords, während dessen jedoch Menschen zueinander finden, die sich in höchster Lebensgefahr über Landeszugehörigkeiten und Frontlinien hinwegsetzen und ein erstes positives Signal an die Menschheit senden, dass nach Jahren des Grauens Licht am Ende des Tunnels aufzieht.
Christoph Mahnel
07.04.2015