Medien & Gesellschaft

Das Fundament des modernen Europas

Vor wenigen Jahren war auf dem Erdball die Situation eingetreten, dass erstmals mehr Menschen in Städten lebten als auf dem Land. Die Ursache liegt darin, dass der Mensch in seinem Erdendasein erst vor wenigen tausend Jahren damit begonnen hat, sich in Gemeinschaften zusammenzufinden und dabei das alltägliche Leben auf engem Raum zu bestreiten. Geboren war das Grundkonzept der Stadt, deren weiterer Siegeszug gemäß aktueller Prognosen ungebrochen ist. Ein besonderer Blick in die städtische Entwicklung lohnt sich insbesondere für die Periode des europäischen Mittelalters. Denn dort wurde einst die Grundlage für das moderne Europa gelegt.

Der in Frankfurt am Main geborene Geschichtsprofessor Bernd Fuhrmann zeichnet in dem vorliegenden Werk "Hinter festen Mauern" die Entwicklung der Städte des mittelalterlichen Europas nach. Fuhrmann ist als studierter Historiker mit den Schwerpunkten auf Stadtgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Mittelalter prädestiniert für eine detaillierte Darstellung dieser Thematik. Mit dem Theiss-Verlag hat er zudem einen angesehenen Herausgeber für sein Werk gefunden, so dass sich "Hinter festen Mauern" schlussendlich trotz des stolzen Preises von knapp 50 Euro als ein Schatz für den Freund präziser historischer und epochaler Werke darstellt.

Zeitlich hat der Autor die nachchristlichen Jahrhunderte 10 bis 15 im Blick. Nichtsdestotrotz beginnt er seine Darstellung einleitend mit einer Betrachtung der politischen Entwicklung vom dritten bis zum achten Jahrhundert. Doch noch davor stellt er zunächst einmal die allesentscheidende Frage, nämlich was denn überhaupt eine Stadt sei? Dabei macht er vor allem klar, dass der Stadtbegriff im Wandel der Zeit massive Veränderungen erfahren hat. Für die zu betrachtende Epoche führt Fuhrmann primär die Kriterien einer überwiegend nicht-agrarisch tätigen Bevölkerung, einer dichten Bebauung, zentraler Handels- und Produktionsstätten sowie zentraler politischer oder kirchlicher Funktionen ins Feld.

Doch gemach: Wer immer noch - und sei es nur ansatzweise - von den Mega-Cities des 21. Jahrhunderts ausgeht, die mehrere Millionen Menschen beherbergen und ihre tatsächliche Bevölkerungszahl eigentlich nur mit Daumenschätzungen beziffern können, schießt weit am Ziel vorbei. Die im vorliegenden Werk betrachteten Städte des Mittelalters beherbergten durchweg Menschen in fünfstelliger Anzahl. Einige Ausnahmen nach oben wie unten existieren, doch bildet diese Größenordnung eine sehr gute Orientierung für die bildliche Vorstellung beim Eintauchen in dieses höchst lesens- und studierenswerte Buch.

Fuhrmann hat einen chronologischen Aufbau gewählt, in übergeordneten Kapiteln hangelt er sich jahrhunderteweise vom Frühmittelalter bis hin zum Spätmittelalter. Er blickt hinter die Stadtmauern deutscher Städte wie Köln oder Nürnberg und widmet sich den reichen italienischen Städten Venedig, Florenz, Genua und Mailand. Von besonderer Bedeutung für das Handelsgeflecht im europäischen Mittelalter waren darüber hinaus die Städte in den Niederlanden und Belgien. Mit London und Paris begannen sich bereits im Mittelalter zwei Städte zu etablieren, die auch heute noch prägend sind und an vorderster Front der globalen Metropolen stehen.

Doch ist "Hinter festen Mauern" beileibe kein schlichter Überblick über die bedeutendsten Städte des Mittelalters, sondern ein Buch, das sich mit dem Kit zwischen den unterschiedlichen Städten und den verschiedenen Entwicklungen über die einzelnen Jahrhunderte beschäftigt. Fuhrmann nimmt die Gesellschaft der Städte unter die Lupe, hinterfragt die Beweggründe der Menschen für das Leben in der Stadt, beleuchtet die Schere zwischen Armut und Reichtum und geht den Basisfragen nach Wohnen und Ernährung der Stadtbewohner nach.

Es ließen sich noch sehr viele weitere Aspekte preisen, die im vorliegenden Buch aufgegriffen werden, nachdem man einmal hineingetaucht ist in die faszinierende Aufarbeitung eines Themas, das für das heutige Europa wegweisend war. Fuhrmann hat einen gelungenen Mix zwischen den dominierenden Textteilen und den sehr gut unterstützenden Bilder und Illustrationen gewählt. Für einen Gelehrten seines Ranges wählt er darüber hinaus einen wenig abgehobenen Schreibstil, der es auch Personen, deren Interessen sich nicht unbedingt im Dunstkreis der Geschichtswissenschaft bewegen, ermöglicht, in die Materie abzutauchen und begeistert den Ausführungen des Autors zu folgen.

Christoph Mahnel
21.07.2014

 
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Das Buch:

Bernd Fuhrmann: Hinter festen Mauern: Europas Städte im Mittelalter

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Darmstadt: Theiss Verlag 2014
288 S., € 49,95
ISBN: 978-3-806-22640-9

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