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Der lange Weg zum Tiki-Taka

Die spanische Fußballnationalmannschaft hat sich in den vergangenen Jahren einem Kannibalen gleichend alles einverleibt, was es an großen Titeln zu erringen gab. Nach dem Erfolg bei der Europameisterschaft im Jahre 2008 folgte zwei Jahre später der große Triumph beim Weltturnier in Südafrika. Beide Male setzte sich die Mannschaft von der iberischen Halbinsel in den entscheidenden Spielen dabei mit 1:0 gegen Jogis Jungs durch. Beim letzten großen Turnier, der EM 2012 in Polen und der Ukraine, war dies nicht noch einmal nötig, denn Balotellis Italien räumte die Deutschen im Halbfinale vom Tableau. Letztlich wurden die Azurri aber im Finale von den Männern in Rot gnadenlos mit 0:4 demontiert.

Doch bis zu dieser beispiellosen Dominanz der Spanier war es trotz der großen Erfolge von Real Madrid und dem FC Barcelona auf Vereinsebene ein langer und tränenreicher Weg für die spanische Nationalmannschaft. Oftmals waren sie bei Europa- und Weltmeisterschaften zu Beginn als Mitfavorit gehandelt worden, jedoch schieden sie in aller Regel konsequent in den K.O.-Spielen aus, wobei sich Pech und eigenes Unvermögen die Waage hielten. Von den Fußballfans im "Vielvölkerstaat" Spanien wurde dies meist eher beiläufig registriert, denn die Diversität der verschiedenen Kulturen mit Basken und Katalanen an vorderster Front sorgte stets dafür, dass die lokalen Vereinsmannschaften im Fokus des Interesses standen, während die Nationalmannschaft als zusammengewürfelter Haufen von Spielern aus Madrid, Barcelona und Bilbao argwöhnisch betrachtet wurde.

Jimmy Burns, ein Journalist mit britischen und spanischen Wurzeln, der sein Leben in England und Spanien gleichermaßen verbrachte, hat sich mit dem vorliegenden Buch der spanischen Fußballhistorie genähert. "La Roja – Eine Geschichte des spanischen Fußballs" beginnt in seinen Ausführungen im Jahre 1887 mit den allerersten Umdrehungen des runden Leders im Süden Spaniens. Dort nämlich brachten englische Bergarbeiter sowie Seeleute das neue Spiel von der britischen Insel den Einheimischen näher. Die Kunde vom zukünftigen Nationalsport erreichte innerhalb kürzester Zeit alle Ecken des Landes. Ob Baskenland, Katalonien oder Kastilien, überall rollte der Ball, und dies nicht ohne Erfolg. Bereits 1920 konnte Spanien bei den Olympischen Spielen in Antwerpen die Silbermedaille erringen.

Dass es für lange Zeit der größte Erfolg der spanischen Fußballgeschichte bleiben sollte, erklärt Burns glaubhaft mit den dunklen Wolken, die in den folgenden Jahren über Spanien hinwegziehen sollten. Der spanische Bürgerkrieg und das Regime Francisco Francos, der über fast vier Jahrzehnte als Führer Spaniens an der Macht bleiben sollte, verhinderten die Weiterentwicklung des spanischen Fußballs nachhaltig. Dort erkennt Burns auch die Ursachen für die bis heute andauernde Feindschaft zwischen den beiden großen spanischen Klubs aus Madrid und Barcelona. Während Real Madrid stets in der Gunst Francos stand und über viele Jahre hinweg vom Regime protegiert wurde, waren die Katalanen des FC Barcelona nur geduldet. Ein Emporstoßen der "Blaugrana" wurde geschickt verhindert, zumal das katalanische Bewusstsein dem nationalen Gedanken Francos zuwider war.

In den frühen Jahren des spanischen Fußballs waren die roten Kicker des Landes als "La Furia" bekannt geworden. Dies lag vor allem an den für spanisch erachteten Tugenden des bedingungslosen Kampfes um jeden Millimeter. Gelebt wurde diese Einstellung vorbildlich vor allem von den Basken aus Bilbao. Die heute gerne verwendete Bezeichnung "La Roja", die dem vorliegenden Buch den Titel spendete, wurde erst im 21. Jahrhundert vom Erfolgstrainer Luis Aragonés kreiert. Vor der WM 2006 verwendete er diese identitätsstiftende Bezeichnung seiner Mannschaft. Wer das spanische Tiki-Taka der letzten Jahre bewundern durfte, wird übereinstimmen, dass hier weniger furienhafter Kampfgeist als vielmehr technische und spielerische Brillanz hinter dem spanischen Erfolg steht.

Jimmy Burns lässt alle Protagonisten der spanischen Fußballgeschichte antanzen: Von Ricardo Zamora bis Iker Cassilas finden zahlreiche Helden zwischen den Pfosten Erwähnung. Die Genialität der goldenen Real-Ära lebt mit Alfredo Di Stéfano, Ferenc Puskás und Francisco Gento auf. Von der Schlitzohrigkeit eines Emilio Butragueños und eines Raúls erfolgt schließlich der Brückenschlag zur heutigen Erfolgsgeneration. Wer dieses Buch aus dem Göttinger Werkstatt Verlag studiert hat, wird sich bei den anstehenden Fußball-Weltmeisterschaften in Brasilien von den Béla Réthys und Steffen Simons kein X für ein U vormachen lassen müssen, sondern ist bestens präpariert mit einem umfänglichen Wissen über den spanischen Fußball und damit einem der Top-Topfavoriten für das anstehende Turnier.

Christoph Mahnel
06.01.2014

 
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Das Buch:

Jimmy Burns: La Roja - Eine Geschichte des spanischen Fußballs

Göttingen: Die Werkstatt 2013
384 S., € 19,90
ISBN: 978-3-730-70043-3

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