Medien & Gesellschaft

Die kritische Bewertung der Bildprogramme des Sonnenkönigs in Europa. Hendrik Ziegler erschließt ein bemerkenswertes Corpus von Feindseligkeiten gegen Ludwig XIV.

Die deutschen Romanisten wollen ihre Kritik am absolutistischen Sonnenkönigs überall in der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts wahrnehmen, während die inzwischen rar gewordenen Bildungsbürger überall in Europa die Nachahmung von Versailles als Merkmal fürstlicher Residenzen des 18. Jahrhunderts nahegelegt bekommen. Gegen beide Gewohnheiten sperrt sich die Habilitationsschrift von Hendrik Ziegler, der seine eigentlich anachronistische Verwendung »des Begriffs Propaganda zur Charakterisierung der höfisch gelenkten Kunst Ludwigs XIV.« (19) bewusst für »die Komplexität und Diversität staatlich gelenkter oder initiierter Bildschöpfungen« (20) verwendet. Ich möchte meinen romanistischen Kollegen ausdrücklich das Studium dieser Untersuchung nahelegen, gerade weil der Verfasser den literaturwissenschaftlichen Forschungen offenbar wenig zutraut und hier lieber auf Historiker (Jens Ivo Engels, Königsbilder. Sprechen, singen und schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Bonn 2000) verweist. Die Anhänge (271-300) enthalten wertvolle bibliographische Hinweise auf die Pamphletliteratur (272-274) und Texte, die wie die Inschriften oder Berichte auch literarisch bedeutsam sind. Vor allem aber vermittelt die ganze Untersuchung ein differenziertes Bild von Initiativen, Diskussionen und Veranstaltungen im Umkreis von Bildschöpfungen, die aufschlussreich für das Verstehen literarischer Fiktion aus der Zeit von Ludwig XIV. sind.

Die Monographie besteht aus drei zentralen Fällen gewidmeten Studien: die Entstehung von und Auseinandersetzung mit der solaren Ikonographie des Königs (21-74), das Programm für die Gestaltung eines heute nicht mehr existierenden Königsmonuments auf der dazu eigens veränderten Place des Victoires (75-144) und das bei Besuchern belegbare Echo auf die Grande Galerie von Versailles (145-180). Zumindest die Ikonographie und Versailles gehören zu den Standardthemen der Romanistik, die im Gegensatz zu Ziegler nicht bemerkt hat, dass die Sonnenimprese »seit 1658 in völlig ausgereifter Form vor[lag]« (23) und in Anlehnung an Emblematum ethico-politicorum (1619) von Julius Wilhelm Zincgref sowohl zum Herausstellen des Rangs von Ludwig XIV. »gegenüber Kaiser und Reichsständen« (24) als auch im Hinblick auf die politischen Heiratspläne entwickelt worden ist. In den Mémoires pour l’instruction du Dauphin bringt der König die Imprese mit dem Turnier von 1662 in Verbindung und gibt damit die Fehlinformation, die von der Petite Académie 1702 überdies noch mit ihrem Gründungsjahr verquickt wurde. Filippo Picinelli entlarvte in Mondo Simbolico formato d’Imprese scelte, spiegate, ed illustrate (31670) »die französische Sonnendevise als Plagiat« (25), was der Jesuit Claude-François Ménestrier dann selbstverständlich in Abrede stellte. Aber auch wenn die »Rückeroberungsversuche sehr partiell« (26) waren, blieb diese Imprese im kollektiven Gedächtnis mit dem Sonnenkönig positiv wie negativ verbunden. Amüsant ist der Devisenstreit 1682 in Wien, wo bei den Feierlichkeiten zur Geburt des Erzherzogs Leopold Joseph der französische außerordentliche gesandte Sébeville Frankreichs Anspruch auf den spanischen Thron mit der Anbringung einer Sonnendevise anmelden wollte. Die späteren Flugschriften schreiben einem hohen österreichischen Hofbeamten die „Anbringung eines Gegenemblems zu Ehren des österreichischen Erzhauses« (55) zu, während Ziegler nachweist, dass es sich bei dieser Information um eine Fälschung, wenn auch »um einen Modellfall einer breit angelegten, sich unterschiedlicher Medien bedienender kaisertreuen Propaganda der Reichspublizistik« (55) handelt. Dagegen wurden vier verschiedene Themen der Devise kritisch entgegengestellt: »Josua in der Schlacht von Gibeon, der Phaëthon- und Ikarus-Sturz, Sonnenuntergänge und -verfinsterungen sowie Verdrehungen des Mottos« (29), die Ziegler nacheinander analysiert (29-50). Die Überspannung der Sonnenemblematik erzeugte »immer massiveren ausländischen Druck« (75). Selbstkorrekturen sind am deutlichsten an der Medaillenserie der »Histoire métallique« abzulesen (50-52) und werden vom Verfasser mit dem Verlust der politischen Relevanz der Imprese ab Ende der 80er Jahre in Verbindung gebracht, als Ludwig einsehen musste, dass er Frankreich nicht »als die privilegierte Schutzmacht« (54) der Reichsstände hinstellen und das Bündnis mit dem Kaiser verhindern konnte.

Das Monument auf der eigens dafür umgestalteten Place des Victoires wurde vom dem mit Ludwig XIV. befreundeten Duc de La Feuillade, einem der Marschälle Frankreichs, gestiftet, aber selbstverständlich in allen Phasen bis hin zur feierlichen Einweihung am 28. März 1686 mit dem König abgesprochen. Die Kritik der Angemessenheit, die, Ziegler zufolge, am in- und ausländischen standesübergreifenden Druck die »Grenzen« der »künstlerischen Selbstdarstellung« (76) eines absolutistischen Herrschers ablesen lässt, wird in den verschiedenen Facetten nachgezeichnet. Sie reicht vom höfischen Umfeld und kirchlichen Kreisen über die Hugenotten im niederländischen Exil und Traktaten bzw. Pamphleten aus dem Reichsgebiet bis zu Spottmedaillen und -liedern und spiegelt sich auch in den Berichten von Diplomaten wider. Hier wie im nächsten Kapitel ist Ezechiel Spanheim ein Kronzeuge. Man hätte vielleicht darauf hinweisen können, dass die Vergöttlichung des Herrschers bereits in der Panegyrik auf Ludwig XIII. vorkommt, der in der letzten Szene des Ballet de la Délivrance de Renaud als Gott von seinen Untertanen angebetet wird. Der Monarch sucht durch die Modifizierung von Inschriften, die hier vollständig abgedruckt und übersetzt sind (281-286), die Irritation abzumildern. Dieser ganze Komplex sowie dessen Einfluss auf die Gestaltung des Denkmals auf der nahe gelegenen Place Vendôme ist umsichtig so dargestellt, dass die Bedeutung von Ritual und Mentalität der Epoche deutlich zu erkennen ist. Ich melde lediglich Widerspruch gegen die Formulierung an, Saint-Simon habe zur »Camarilla um Fénelon« (96) gehört, und merke den Druckfehler an, dass Fénelon zum Erzbischof von »Combrai« (141), eine Assoziation mit Prousts »Combray«, statt von Cambrai gemacht wird. Erstaunlicherweise übersetzt der Autor „Abbé“ mit „Pater“, was „Père“ bedeutet und Ordensgeistlichen als Titel dient.

Das dritte Kapitel betritt mit der Auswertung ausländischer Reise- und Gesandtschaftsberichte über die Grande Galerie von Versailles ein in der Romanistik völlig unbekanntes Terrain. Die mit Skizzen versehenen Beschreibungen in Christoph Pitzlers Tagebuch (167f, 291-294) sind interessant. Leonhard Christoph Sturm hat »sich offenbar mit den Deckengemälden intensiv auseinandergesetzt und deren Gesamtthematik problemlos erfaßt« (172), was damals vielen Beobachtern schwer fiel. Da Ziegler auch auf den Park des Schlosses zu sprechen kommt und zusätzlich zu Mlle de Scudérys Promenades de Versailles deren eher den Spezialisten vertraute Conversations nouvelles sur divers sujets heranzieht, aber lediglich mit einem Verweis auf Sabine du Crests Artikel über den Apollon-Mythos in Versailles vertieft, muss man sich darüber wundern, dass er nicht wenigstens auf des Königs Manière de montrer les jardins de Versailles (préface par Jean-Pierre Babelon, Paris 1992) hinweist, denn »[d]ie Öffnung der königlichen Häuser für das breite Publikum verbunden mit der grundsätzlichen Zugänglichkeit des Königs für seine Untertanen, hat Ludwig besonders kultiviert« (149) und in der Medaillen-Serie über seine Regierungszeit eigens darstellen lassen (vgl. Ab. S. 149). Schloss und Park wurden von den Reise- und Gesandtschaftsberichten »vor allem als Schaufenster der technischen, wirtschaftlichen und politisch-militärischen Leistungsfähigkeit und Kriegsbereitschaft Ludwigs XIV. angesehen« (155), was die 1680 veröffentlichte Radierung mit den Pumpanlagen von Marly (Ab. S. 160) veranschaulicht. Gegen die offizielle Darstellung von Versailles als Lebensraum des Königs haben die Gegner es in Flugschriften und Spottmedaillen zu einem »Ort des Vergnügens und der sexuellen Ausschweifung« (166) degradiert. Die Entscheidung, in den von Le Brun gemalten Deckengemälden der Grande Galerie auf die Projektion ins Mythologische zu verzichten und den König direkt überall als erfolgreichen Feldherrn und Herrscher abzubilden, hat die ausländischen Diplomaten und Besucher abgestoßen, so dass sie überwiegend negativ urteilen. Die Auswertung dieser Zeugnisse gehört zu den unbestreitbaren Leistungen Zieglers.

Man kann aus den vielen Abbildungen und Analysen der Studie von Ziegler sehr viele Erkenntnisse gewinnen, weswegen sie auch für Romanisten äußerst lesenswert ist.

Prof. Dr. Volker Kapp, Kiel
26.06.2012

 
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Das Buch:

Hendrik Ziegler: Der Sonnenkönig und seine Feinde. Die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik. Mit einem Vorwort von Martin Warnke und einer französischen Zusammenfassung [Studien zur Architektur- und Kunstgeschichte 79]

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Petersberg: Michael Imhof Verlag 2010
320 S., € 49,00
ISBN: 978-3-86568-470-7

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